Halbe Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)
dazu.
Sie zog Linien zu den Opfern.
Zufall , dachte sie. Ist doch bloß Zufall.
Dann schrieb sie noch einen Namen.
Und zog wieder Linien.
Nein, ist es nicht.
Sie hob den Hörer ab und lies sich zur Zentrale durchstellen.
„ Biggi? Hi, Lisa Becker. Ja, danke, es geht mir bestens. Hör mal, ich brauche mal eine Nummer...“
Kurz darauf wählte Lisa noch einmal.
„ Kriminaloberkommissarin Becker“, stellte sie sich so offiziell wie möglich vor, „es geht um einen Feueralarm in Britz vor zehn Tagen. Ja genau, war ein Fehlalarm. Aber ich hätte da eine Frage...“
Einunddreißig
Fabian hatte sich zwar über Lisas geringen Appetit gewundert, als sie zusammen gegessen hatten, aber ansonsten keine Fragen gestellt. Ein paar anzügliche Bemerkungen, erotische Schwingungen, ironisches Liebesgeflüster, darauf hatte sich die Konversation beschränkt. Weder die Morde noch Skimaske waren Thema gewesen.
Lisa wollte nur noch den Tag hinter sich bringen. Sie vertröstete Fabian auf morgen, und der war gleich einverstanden. „Ich mag Weiber, die nicht so klammern.“ Lisa wusste manchmal nicht, was sie an ihm so toll fand. Er war für ihren Geschmack viel zu ehrlich. Und so aufrichtig in seinen Gefühlen. Schrecklich. Warum konnte er sie nicht belügen und einlullen, so wie jeder normale Mann? Sie gehörte zu den Frauen, die genau wussten, dass es besser war, die Gefühle ihres Freundes nicht so genau zu kennen. Das zerstörte eine Menge Illusionen. Männer wirkten vielleicht wie emotional verkrüppelte Trampeltiere, aber tief im Innern waren sie noch viel schlimmer.
Aber diese Gedanken waren bereits weit weg, als sie Katze den Fressnapf füllte. Sie ließ sich aufs Sofa fallen und hörte dem Tier beim Schmatzen zu. Es fiel ihr schwer, ihre Gedanken zu ordnen. Alles war plötzlich anders. Und das ständig innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden. Erst der Penner mit dem Messer, dann die heiße Nacht mit dem Penner mit dem Dreitagebart, dann der Tiefschlag, dass Skimaske wenig zu befürchten hatte.
Und dann ihr Einfall, bei der Feuerwehr eine kleine Anfrage zu stellen. Der freundliche, hilfsbereite Hauptmann, der ihr sofort die notwendigen Informationen besorgte. Ihr das Beweismittel mit Expresskurier rüberschickte, innerhalb einer halben Stunde. So eilig hätte sie es gar nicht gehabt.
Und schon wieder das Telefon, diesmal ihr eigenes.
„ Lisa?“ Christianes Stimme klang kleinlaut und bedrückt. Lisa wusste schon, was jetzt kam.
„ Ich wollte es dir sagen, bevor es in den Nachrichten kommt. Wir lassen ihn noch heute Abend laufen.“
„ Verstehe“, sagte Lisa tonlos.
„ Aber für den Überfall auf dich kriegen wir ihn bestimmt“, versuchte Christiane ihre Freundin aufzumuntern. „Ich meine, du bist Polizistin. Er kommt vielleicht sogar in den Knast.“
„ Für wie lange?“
„ Vielleicht ein halbes Jahr“, murmelte die Freundin.
„ Hurra. Da kann er sich etwas erholen und Energie auftanken für seine nächsten dreißig Opfer.“
„ Lisa, bitte, ich...“
„ Lass gut sein, Liebes. Du hast alles getan, was möglich war. Das ist eben unser Rechtsstaat.“
Sie redeten noch eine Weile, aber Lisa konnte sich nicht mehr konzentrieren. Viel zu viel schwirrte in ihrem Kopf rum und wartete auf Landeerlaubnis. Sie verabschiedete sich von Christiane. Dann zog sie sich aus und ließ sich ein Bad ein.
Tja , dachte sie, als sie im heißen Wasser lag, das ist unser Rechtsstaat. Wer schlau genug ist, kann machen was er will. Er kann sogar erwischt werden, denn in diesem Moment gibt sich die Justiz jede nur erdenkliche Mühe, ihn vor Strafe zu bewahren. Damit wir uns alle besser fühlen, weil wir wissen, dass wir besser sind als Nazis, Amerikaner oder Stalinisten. Das ist es ja wohl wert, oder?
Sie kannte jemanden, mit dem sie über so etwas reden konnte. Und ihr wurde auf einmal bewusst, dass sie ihn vermisste, obwohl sie noch gestern miteinander gesprochen hatten. Aber er hatte sich als einziger ihrer Freunde den ganzen Tag nicht gemeldet, was ihr jetzt erst auffiel. Entschlossen stieg sie aus der Wanne, trocknete sich ab und zog sich an. Ihr ausgeleierter Jogginganzug reichte ihr für das Haus, das sie ja nicht verlassen würde. Sie stieg nach oben und klingelte.
„ Oh, hallo“, sagte Sven. „Was ist los?“
„ Darf ich reinkommen?“
„ Klar.“
Sie setzte sich auf Svens alten Sessel im Wohnzimmer und sah ihm zu, wie er ihr eine Tasse Tee aus der Kanne eingoss, die schon auf dem
Weitere Kostenlose Bücher