Halbe Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)
Couchtisch gestanden hatte.
„ Du hast keine Ahnung, was mir passiert ist, stimmt’s?“ fragte Lisa.
Sven glotzte sie nur verständnislos an. „Ich hab mich heute hier verkrochen“, gab er mit rotem Kopf zu. „Das mach ich manchmal, wenn ich wieder zu mir finden will.“
Lisa erzählte ihm von den Ereignissen. Die erotischen Abenteuer mit Fabian ließ sie dabei aus, aber dafür interessierte sich Sven auch gar nicht. Der sank vor ihr nieder und nahm sie so fest in die Arme, dass Lisa tatsächlich noch einmal kurz heulen musste.
„ Und er wird jetzt in diesem Moment freigelassen“, schloss Lisa. Sie hatte die Beine angezogen und hockte auf dem Sessel wie ein kleines Mädchen. Sven seinerseits saß niedergeschlagen auf der Couch und hielt sich mit beiden Händen den Kopf.
„ Dein Kollege hätte ihn erschießen sollen“, sagte Sven.
Es war inzwischen 3 Uhr nachts geworden, und noch immer tat sich nichts. Lisa war sich nicht sicher, ob sie darüber erfreut sein sollte oder nicht. Seit vier Stunden, seit Einbruch der Dunkelheit, saß sie in ihrem Wagen, der gut versteckt unter einigen Bäumen parkte, und beobachtete ein Haus in Reinickendorf. Ihr Magen knurrte, ein Abendessen hatte sie nicht gehabt, und sie war trotzdem überrascht, dass sie Hunger hatte. Und Durst. Warum hatte sie nicht wenigstens Wasser mitgenommen?
Die Straße war menschenleer. Die hohen Bäume weiter hinten bei der Roedernallee rauschten ohrenbetäubend laut im Wind, obwohl es gar nicht stürmisch war. Lisa war froh, dass sie nicht in so einem bäumeverpesteten Vorort wohnte. Sicher, es gab auch Straßenlärm, und das Ausmaß an gröhlenden Besoffenen, das sich in Berlin breit machte, wurde auch nicht gerade geringer. Aber das war gar nichts gegen die Lärmbelästigung, die man von Seiten der Natur ertragen musste.
Mit diesen Gedanken lenkte sich Lisa ab, um nicht einzuschlafen oder durchzudrehen, je nachdem was zuerst kam. Sie wurde zunehmend fröhlicher. Offensichtlich hatte sie sich geirrt. Das war eine gute Nachricht, wenn auch sehr eigenartig. So sicher war sie noch nie gewesen. Aber hier war sie, ganz allein, und offensichtlich schlief der Mann, der in der vorvergangenen Nacht versucht hatte, sie zu vergewaltigen, dort vorne friedlich in seinem Haus.
Schon wollte sie den Zündschlüssel umdrehen, als sie es hörte. Das Rauschen der Bäume hatte das herannahende Fahrrad übertönt. Trotz der Dunkelheit verzichtete der Fahrer darauf, seine Beleuchtung einzuschalten. Er kam aus der gegenüberliegenden Seitenstraße und fuhr nur fünf Meter vor Lisas Wagen vorbei, bevor er in die Straße einbog, in der das Haus stand.
Lisa konnte kaum atmen. Die Straßenbeleuchtung war spärlich, aber sie hatte ihn erkannt. Und sie hatte auch eine ziemlich klare Vorstellung davon, was das für ein länglicher Gegenstand war, der aus der linken Gepäcktasche herausragte – wenngleich er von einer Plastiktüte umwickelt war. Sie duckte sich etwas unter dem Lenkrad, als der Radfahrer anhielt und sein Drahtross an den Zaun des Hauses lehnte. Er sah sich um. Und sein Blick richtete sich auf Lisas Wagen.
Einige Sekunden lang verharrte der Mann, und Lisas Hand tastete nach ihrer Waffe. Der Radfahrer jedoch wandte sich wieder seinem Fahrrad zu. Er öffnete die Gepäcktasche und zog den länglichen Gegenstand heraus. Das Ding war offenbar schwer, denn er musste beide Hände nehmen, um es ganz hervorzuziehen. Es war mindestens einen Meter lang. Langsam entfernte der Mann die Hülle, und das hervorschimmernde Metall blinkte unter dem fahlen Licht der Straßenlaterne. Das Handtuch wurde sorgfältig zusammengefaltet und unter den Gepäckträger geklemmt.
Typisch , dachte Lisa. Wie ich ihn kenne, hat er auf der Fahrt hierher jedes Mal beim Abbiegen der Arm rausgestreckt, auch wenn weit und breit kein Auto zu sehen war. Mich wundert, dass er das Fahrrad nicht abschließt.
Sie machte sich bereit. Ihre Hand lag bereits auf dem Türgriff. Si überlegte, ob sie ihre Waffe ziehen sollte. Und wann sie einschreiten würde.
Und ob überhaupt.
Auf einmal war der Gedanke da. Sie hatte ihn die ganze Zeit verdrängt. Es war klar, was sie zu tun hatte. Den Mann dort aufhalten, bevor er in das Haus einbrach. Ihn festnehmen und dem Hausbewohner das Leben retten.
Lisa blieb sitzen. Wie gelähmt hockte sie hinterm Steuer und beobachtete, wie der Radfahrer seine Waffe packte. Jetzt konnte er sie mit einer Hand halten, allerdings hielt er sie senkrecht nach unten, um
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