Halbgeist: Roman
einiger Taten geworden, die er begangen hatte. Aber er war auch verwundet; an seiner Körperseite zog sich eine lange, unregelmäßige Wunde entlang, und nur die Begierde hielt ihn noch auf den Beinen.
»Andrea ...«, rief er. »Andreaaaaa ...«
Obwohl er verletzt war, war er doch stärker als ich. Um voller Freude sein Blut an meinen Händen kleben zu haben, musste ich auf den rechten Augenblick warten und ihn mir schnappen, wenn er verwundbar war.
Die Skulptur neben dem Sofa stellte den alten Bocaier Gott des Frohsinns dar: ein kleiner gedrungener Troll mit einem Mund, der zu einem Grinsen von unmöglichen Dimensionen verzogen war. Als Kleinkind hatte mich dieses Gesicht stets fasziniert. Als Raubtier sah ich in ihm mein Totem. Ich veränderte meine Position, zog Knie und Ellbogen unter mich und schob mich hinter den kleinen Troll, ohne dabei das leiseste Geräusch zu verursachen.
Die Schatten meines Vaafir tanzten über meinen Rücken, als er zum Korridor und zu den hinteren Räumen des Hauses schlurfte.
Ich hörte ihn das Zimmer betreten, das einem seiner eigenen Kinder gehörte.
Ich richtete mich auf, berechnete meine Chancen und ging, statt ihm zu folgen, zur Vorderseite des Hauses, wo die Feuergrube war.
»Andreaaaa ...«
Die moderne Küche unter den Bocai dieser Ära und Region umfasste das Braten sämtlicher Zutaten, bis diese jegliche Feuchtigkeit eingebüßt hatten; die verkohlten Überreste wurden sodann gewürzt. Das Bocaier Gewürzsortiment war ausreichend, ihren Speisen so etwas wie Variationen und Geschmack zu verleihen, auch wenn einige der ortsansässigen Menschen die Ergebnisse allenfalls aus Höflichkeit goutierten. Aber die Art der Zubereitung erforderte wenige Utensilien. Nur eine Art Löffel zum Aufschaufeln der Asche. Und eine Art Messer, um die Einzelteile zu zerlegen, während sie verbrannt wurden.
Auf Bocai ist dies ein und dasselbe Werkzeug.
Die Bocaier Kochgrube war eine in den Boden eingelassene Metallschüssel in der Mitte jenes Raums, der der Küche der Menschen entsprach. Die Heizquelle war in die Unterkonstruktion des Bodens eingebaut. Ein Bocaier Koch kniete über der Schüssel und stocherte mit einem Gerät namens Kres, das einen Löffel an dem einen und eine Klinge an dem anderen Ende aufwies, in den brutzelnden Einzelteilen herum.
Ich kauerte mich am Rand der Schüssel zu Boden, griff hinein und zog den Kres hervor, der nach der letzten Benutzung noch immer verkrustet und verkohlt war.
Er war leicht genug, dass ein Kind ihn halten konnte. Und er war so lang wie der Arm eines erwachsenen Bocaiers, was notwendig war, da niemand daran interessiert war, sich bei der Arbeit an der Schüssel im Dampf zu verbrühen. Was die Schärfe betraf, so testete ich sie, indem ich meinen Zeigefinger auf die Spitze drückte, so lange, bis mein eigenes Blut floss.
Gut.
Mein Leben bedeutete mir nichts mehr.
Das Einzige, was für mich zählte, war, sein Leben auszulöschen.
Eine niedrige Wand mit Regalen trennte diesen Raum vom Familienzimmer. Ich drückte mich an die Mauer. Schweiß lief mir übers Gesicht, während ich auf die winzigen Geräusche aus dem Rest des Hauses lauschte und mir ein Bild machte, von dem ich wusste, dass es stimmte.
Ich wusste, er war auf der anderen Seite der Wand, auf Händen und Knien, zu geschwächt durch den Blutverlust, um auf den Füßen zu bleiben, und doch immer noch fähig, mich zu überwältigen, sollte es zu einem Kampf kommen. Ich wusste, er wartete nur darauf, dass ich ihn angriff. Ich wusste, würde ich das versuchen, so bekäme ich nie das befriedigende Gefühl, ihn getötet zu haben.
Selbst der Kres würde mir womöglich nicht viel helfen, sollte es zu einer Konfrontation kommen.
Aber vielleicht war das gar nicht nötig.
Ich verlagerte mein Gewicht nach vorn, stemmte mich auf die Knie, stand dann auf und legte den Kres auf die niedrige Mauer.
Ich hob den rechten Fuß und setzte ihn mit dem vollen Gewicht auf das erste Regalbrett.
Wäre ich ein erwachsener Mensch gewesen, hätte das Brett vermutlich nachgegeben.
Aber ich war nur ein Kind. Eine Achtjährige. Mein Körpergewicht war, ähnlich wie meine Zurechnungsfähigkeit zu jener Zeit, ein Nichts.
Das Regal hielt stand.
Auf der anderen Seite der Wand hustete mein Vaafir. Dem Laut haftete ein sonderbarer, unangenehmer, feuchter Klang an, der mir verriet, dass mir nicht mehr viel Zeit blieb.
Ich kletterte weiter.
Noch ein Regalbrett, dann mit unendlicher Vorsicht auf den
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