Halbgeist: Roman
glauben, andere Leute könnten verstanden werden.« Er schüttelte den Kopf, nicht einmal, etliche Male, vielleicht zu viele Male, ehe er die Augen wieder auf mich richtete. »Ich habe ihr immer gesagt, das würde ihr eines Tages schaden. Ich habe sie sogar gewarnt, sie möge vorsichtig sein, sonst könnte es sie umbringen. Was beweist, wie gottverdammt scharfsinnig ich bin, nicht wahr?«
In seiner Stimme lag eine sonderbare Ahnung des Triumphs. Der Verlust Cynthia Warmuths hatte ihn keineswegs erschüttert. Er hatte lediglich seinen ergrimmten Sinn für Zynismus verstärkt, hatte die harten Lektionen bestätigt, die er durch andere Verluste hatte lernen müssen, andere Tragödien, andere Leute, die er vertrieben hatte.
Dann riss er sich zusammen, atmete tief durch und nahm mich wieder wahr, dieses Mal mit düsterem Groll, der tiefem Zorn nicht fern war. »Aber das reicht nicht, Counselor. Es erklärt nicht, was mit Santiago passiert ist. Und es erklärt auch nicht die Anschläge auf Ihr Leben. Oder den Angreifer, der hinter Oscin und Skye her war. Oder was aus Hängemattenstadt geworden ist.«
Ich sah ihm direkt in die Augen und nickte. »Sie haben recht, das tut es nicht.«
»Was soll ich also Ihrer Meinung nach jetzt denken? Dass Gibb hinter all dem steckt? Dass er irgendwo im Überwuchs lauert und darauf wartet, ob ein neues Opfer des Weges kommt?«
»Das wäre eine mögliche Erklärung, Sir.«
»Aber keine, an die Sie glauben.«
»Nein, Sir. Ich glaube das, was die Beweise mir erzählen.«
»Und Sie haben nicht die Absicht, mir zu sagen, was das ist.«
»Nicht, ehe ich sicher bin.«
»Inwiefern rechtfertigt das all die Dinge, die Sie angerichtet haben?«
»Aus sich heraus«, sagte ich, »tut es das gar nicht. Aber hier ging es nie nur um ein Rätsel und eine Lösung. Es waren mehrere, die durcheinandergeraten sind und sich einer verständlichen Erklärung in den Weg gestellt haben. Ich musste zunächst all die kleineren Probleme aus dem Weg räumen, Gibb und Warmuth zum Beispiel, um einen Blick auf das größere Rätsel werfen zu können. Und das ist die eine Sache, die mir noch zu tun bleibt.« Ich atmete tief durch. »Wer sind Sie, Peyrin Lastogne?«
Er starrte mich an, als wüsste er nicht recht, ob er mir einen Orden verleihen oder mir kräftig auf die Schnauze hauen sollte. Dann schaute er die Porrinyards an, einen nach dem anderen, scheinbar um herauszufinden, wie weit ich sie mit meiner Verrücktheit angesteckt hatte. Als sie nur nickten, warf er die Arme in die Luft und stapfte zurück in die Ecke, in die er sich schon zuvor verzogen hatte, nicht ohne dabei mehrfach die Gesichtsfarbe zu wechseln.
Er hatte alles gesagt, was er zu sagen beabsichtigte.
Die versammelten Dienstverpflichteten sahen zu, als die Porrinyards und ich wieder zum Gleiterdock marschierten, und ihre Augen blickten entweder anklagend oder beschwörend. An dem Tag, an dem ich eingetroffen war, hatte ich in ihnen Leute gesehen, die sich in einem Zustand der Belagerung befanden, doch ich hatte mich geirrt. Den Zustand der Belagerung erlebten sie erst jetzt. Wie viele von diesen Leuten versuchten derzeit, sich selbst davon zu überzeugen, dass sie auch den Rest des Tages überleben würden? Wie viele waren bereits zu dem Schluss gekommen, dass sie nicht überleben würden?
Ich hätte ihnen eine aufmunternde Ansprache zukommen lassen können, so wie Gibb es nach der Evakuierung von Hängemattenstadt getan hatte, aber ich war nie der Typ für aufmunternde Reden gewesen. Vielleicht war das ein weiteres Gebiet, an dem ich arbeiten sollte. In der Zukunft. Falls ich eine Zukunft hatte.
Oskar Levine war der Einzige, der zu uns eilte, kurz bevor wir den Hangar verließen; offenbar hatte er bis eben an den Blaugelkrypten gearbeitet. Er war über und über mit dem Zeug befleckt, so sehr, dass es schwer war, allzu viel von seiner echten Hautfarbe zu erkennen. Ich gestehe, ich war erleichtert, dass er es sich verkniffen hatte, dem, wie mir schien, ersten Impuls nachzugeben, mich in die Arme zu schließen. »Ist das wahr?«, fragte er stattdessen fordernd. »Ist Hängemattenstadt zerstört worden?«
»Es ist wahr«, sagte ich zu ihm.
»Und Gibb? War er dort, als es passiert ist?«
Er wirkte besorgter, als ich es von einem Mann erwartet hätte, den Gibb wie einen Verräter behandelt hatte. Ich wollte sehen, ob er mir eine falsche Trauer vorspielen würde. Das schien ganz und gar nicht zu seinem Charakter zu passen, aber in
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