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Halbgeist: Roman

Halbgeist: Roman

Titel: Halbgeist: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam-Troy Castro
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Krisenzeiten neigten die Leute dazu, ihrer eigenen Natur zuwiderzuhandeln. Also sagte ich »ja« und wartete.
    Es dauerte einige Herzschläge lang, bis er seine nächste Frage formulieren konnte, aber schließlich sprudelten die Worte in einem einzigen Atemzug aus ihm hervor: »Glauben Sie, dass er tot ist, oder versteckt er sich nur?«
    Eine berechtigte Frage.
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich und ließ ihn allein.

23
    IM BEICHTSTUHL
    Unter dem Einfluss des Schlafmangels, der physischen Erschöpfung und der andauernden Auswirkungen mehrerer Erlebnisse, die beinahe zu meinem Tod geführt hätten, war ich ähnlich ausgelaugt wie ein Rauschgiftsüchtiger im Endstadium des Entzugs. Ein Teil meiner selbst verlangte nach einer Pause. Wenn der Hangar tatsächlich so sicher war, wie ich vermutete, dann hätte ich Tage oder wenigstens Stunden damit zubringen können, mich zu erholen und für den nächsten Schritt zu rüsten, ohne befürchten zu müssen, dass eine ausgedehnte Periode der Inaktivität meinerseits andere dazu verdammen würde, auf einer länger werdenden Liste der Todesfälle zu enden.
    Das wäre nett gewesen. Es wäre sogar klug gewesen.
    Aber warten war keine Option für mich.
    Ich konnte es einfach nicht länger ertragen, zum Spielball gemacht zu werden.
    Die Porrinyards sagten nicht viel auf dem Weg zur Schnittstelle. Sie erkannten mit der Gewissheit völliger Übereinstimmung, dass Worte mich nicht hinhalten, nicht aufhalten, nicht beruhigen konnten. Aber Skye ergriff doch mein Handgelenk, als ich niederkniete, um durch das Portal zu kriechen, und fragte: »Weißt du auch über uns Bescheid? Weißt du alles?«
    Ich konnte mir kein Lächeln abringen. »Ja.«
    »Seit wann?«
    »Schon eine Weile.«
    Beide sahen aus, als wollten sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. »Ist das für dich in Ordnung?«
    »Das weiß ich nicht. Es hängt davon ab, was mir dort drin bestätigt werden wird.«
    Sie nickten ohne eine Spur der Überraschung, agierten wieder wie eine Person, traten vor und zogen mich in ihre Arme. Oscin musste sich ein wenig klein machen, um an mich heranzukommen. Beide zitterten.
    »Du hattest ein besseres Leben.«
    Nicht Furcht war der Grund, warum ich zögerte, sie loszulassen, sondern das völlig neue Gefühl der Verbindung: mich selbst als einen Teil des Lebens eines anderen zu empfinden und zugleich sie als Teil meines Lebens. Ich war nicht überzeugt, dass ich mir derlei Gefühle leisten konnte. Aber auch das gehörte zu den Dingen, die ich dort drin herausfinden wollte.
    Die Porrinyards ließen mich los und traten zurück. Ihre Augen waren trocken, und sie bedachten mich mit einem übereinstimmenden tapferen, zaghaften Lächeln.
    Ich konnte ihnen nur zunicken und mich durch die Luke schieben.
    Es fiel mir nicht schwer, die subtile Veränderung in dieser Kammer mit dem undeutlich blauen Himmel zu erkennen. Ein neues Element war hinzugekommen, eines, das in krassem Gegensatz zu dem Ambiente des endlosen Himmels stand: ein gewisser klaustrophobischer Druck, durch den die Wände, wo immer sie sein mochten, drohend aufragten wie Gefängnismauern. Ich weiß nicht, ob das eine Folge der Veränderungen in mir war oder die Wirkung unterschwelliger Hinweise seitens der KIquellen. Auch weiß ich nicht, ob ich mir einbildete, ich hätte versucht, Atem zu sparen, oder ob ich es nur vorhatte. Ich weiß nur, was ich glaubte. Und ich glaubte, dass die KIquellen, sollten sie überhaupt imstande sein, gegenüber einer Kreatur, die so viel kleiner, so viel kurzlebiger als sie selbst war, so etwas wie dunkle Ahnungen zu empfinden, genau das gerade taten.
    Während ich dort schwebte und darauf wartete, empfangen zu werden, stellte ich fest, dass ich ihnen ein tief in innere Bereiche vorstoßendes Verständnis entgegenbrachte. Als Intelligenzen, die sich meinem Begriffsvermögen entzogen, waren sie Götter, denen gegenüber ich nicht mehr Bedeutung hatte als ein Staubkorn. Aber als Seelen waren sie nur durchschnittlich. Sie hatten Ambitionen und Gefühle, so unwert wie die, die wir empfanden. Sie waren, um die Analyse zu Ende zu führen, so korrupt wie wir. Und in diesem Punkt waren wir verwandt.
    Im Lauf meines Lebens hatten sie mich fasziniert, mich geängstigt, mein Misstrauen und meinen Zorn geweckt.
    Nun empfand ich ihnen gegenüber zum allerersten Mal Geringschätzung, ohne sie vortäuschen zu müssen.
    Ein befreiendes Gefühl.
    Als sie schließlich das Wort ergriffen, sprachen sie mit männlicher Stimme:

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