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Halbgeist: Roman

Halbgeist: Roman

Titel: Halbgeist: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam-Troy Castro
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trieb etwas anderes, etwas, das mehrere Leute, Sie eingeschlossen, als eine geradezu zwanghafte Form von Mitgefühl bezeichnet haben.«
    Sah ich da ein schmerzliches Flackern in Lastognes Augen? »Ja.«
    »Sie wollte zu viel, wollte in die Haut jedes Wesens kriechen, mit dem sie sprach. Damit hat sie sich zu einem echten Plagegeist entwickelt. Sie ist den Leuten so auf die Nerven gegangen, dass sie Warmuth regelrecht gehasst haben. Aber diese Unbeliebtheit hätte sie überlebt, wäre sie nicht einen Schritt zu weit gegangen: den Schritt, den ich getan habe, als ich eine Nacht im Überwuchs verbracht habe. Sie hat den Brachiatoren erzählt, sie wolle lebendig wie sie sein, ohne dabei je daran zu denken, was das in deren Verständnis bedeutet.«
    Nun sah Lastogne deutlich erschrocken aus. »Und darum ...?«
    »Und darum«, sagte ich, »haben sie sie, ohne ihr etwas Böses zu wollen, an Ort und Stelle festgenagelt.«
    Lastogne erhob sich, drehte uns den Rücken zu, trat zur entgegengesetzten Wand des Kubus, die Arme vor der Brust verschränkt, den Kopf in einer Haltung unerträglichen Bedauerns gesenkt. Weder die Porrinyards noch ich sagten etwas, störten ihn in irgendeiner Weise. Nach mehreren langen Minuten kehrte er zu seinem Platz zurück, und nun trug er eine bleiche Grimasse finsterer Trauer.
    Ich fuhr fort, als hätte es die Unterbrechung nicht gegeben. »Ihnen kam gar nicht in den Sinn, dass sie sie verletzen könnten. Sie wussten ja nicht, dass sie überhaupt am Leben war. In ihren Augen war sie nur ein Geist, der eine widernatürliche Halbexistenz darstellte; nichts so Alltägliches wie eine Wunde sollte irgendeine Wirkung auf sie haben. Nein. Sie hat mit den denkbar besten Absichten um Hilfe gebeten, um einen Platz im Leben zu erhalten, und die Brachiatoren haben ihr mit den denkbar besten Absichten gegeben, was sie wollte. Die negative Wirkung, die ihre Handlungsweise auf sie hatte, hat sie zutiefst überrascht. Sie selbst haben es mir gesagt. Leben ist nicht gesund für Geister. Sie haben sie gelehrt, dass es sie zu schnell verzehrt. Ans Leben genagelt zu werden war nicht gut für Warmuth. Sie ist verblutet. Es hat sie zu schnell verzehrt. Für die Brachiatoren war das eine neue Erkenntnis, die sie jedoch umgehend als Lektion und Warnung verstanden haben. Was auch der Grund war, dass sie mir diesen Wunsch erst erfüllen wollten, als ich sie beinahe angebettelt habe.«
    Lastogne beäugte die Porrinyards, flehte stumm um eine Reaktion und erkannte im Ausdruck ihrer geweiteten Augen Verständnis und Akzeptanz gegenüber einer Wahrheit, die jeder hier übersehen hatte. Einen Moment später drehte er sich wieder zu mir um, doch sein Blick fixierte weniger mich als einen Punkt irgendwo hinter mir, eine Erinnerung, die nur seine Augen wahrnehmen konnten. »Ich habe ihr immer gesagt, eines Tages würde sie daran Schaden nehmen.«
    Nie zuvor hatte er etwas gesagt, das weniger nach ihm geklungen hatte.
    Die Porrinyards, die ihn besser kannten als ich, drehten sich zu ihm um, und ihre Profile glichen einheitlichen Studien purer Ungläubigkeit.
    Überraschen konnte mich das alles nicht. »Woran?«
    »An ihrer Fürsorge, dem Übermaß an Fürsorge.« Seine Stimme brach. Er hörte sich selbst, sammelte sich, zuckte mit den Schultern, entschuldigte sich für den Moment der Schwäche. »Das ist untypisch, Counselor. Sie wissen, wie ich über das System denke. Es zementiert Mittelmäßigkeit. Die meisten Dienstverpflichteten sind lediglich daran interessiert, ihre Zeit abzuleisten und zu verschwinden. Die meisten Karrieristen versuchen lediglich, auf ihre eigene Ebene der Inkompetenz aufzusteigen. Und wenn sie gelegentlich auf eine Person treffen, die echtes Interesse zeigt, ein Ärgernis wie die arme Cynthia, dann stellt sich heraus, dass die noch schlimmer sind. Sie gehen hin und versauen einfach alles, indem sie sich benehmen, als wäre das, was sie tun, von Bedeutung.«
    Die Porrinyards bedachten wechselweise mich mit bestürzten und Lastogne mit ungläubigen Blicken.
    Ich konnte ihnen keinen Vorwurf daraus machen. Nicht nach allem, was sie über seine Selbstsucht als Liebhaber gesagt hatten.
    Aber für mich war dies das erwartete Szenario. »Sie haben sie geliebt, nicht wahr?«
    »Zunächst fand ich sie nicht gerade anziehend. Wie ich Ihnen schon am ersten Tag sagte: Mir liegt nichts daran, Freundschaften zu schließen. Das Letzte, was ich je wollte, war Verständnis von einer Person, die arrogant genug war zu

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