Halbgeist: Roman
Vorfall allzu viel mit ihrem Schicksal zu tun haben könnte.
Ein rothaariger Medizintechniker namens Bill Wilson erzählte mir: »Das ist eine kleine Gemeinde, Counselor. Hier hat es schon vorher Streit gegeben, und es wird auch in Zukunft so sein. So was muss nicht zwangsläufig einen Mord zur Folge haben, und es gibt keinen Grund zu der Annahme, es hätte dieses Mal einen Mord zur Folge gehabt, nur weil die eine der anderen gefolgt ist.«
»Es ist ein Punkt, den ich mir ansehen möchte«, sagte ich.
»Bis«, entgegnete er, »Sie erkennen, dass es da nichts zu sehen gibt.«
Und das Teuflische war, dass er recht hatte. Der Vorfall war seinerzeit als derart unbedeutend eingestuft worden, dass es nicht einmal eine Untersuchung gegeben hatte. Es hatte keine Beschwerden gegeben, keine weiteren Auseinandersetzungen, keine Disziplinarmaßnahmen, keinen nachfolgenden, andauernden Konflikt, der entweder eines Eingreifens von offizieller Seite oder auch nur einer ganz inoffiziellen Unterredung für würdig befunden worden war. Soweit ich es in Erfahrung bringen konnte, hatte keine der Frauen ihre Version des Geschehens mit Freunden oder Kollegen geteilt. Beide schienen entschlossen gewesen zu sein, die ganze Sache hinter sich zu lassen, und beide hatten weitergemacht, ohne die Angelegenheit noch einmal zur Sprache zu bringen.
Es gab keinen Grund zu der Vermutung, dieser Streit hätte irgendetwas zu bedeuten.
Nur, dass sie nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge ebenso gut der Schlüssel zu allem hätte sein können.
Zu den interessanteren Zielpersonen gehörten: ein Jacques Robinette, ein nervöser Typ, dessen Gestammel in meiner Gegenwart ein tiefes Gefühl der Schuld offenbarte, auch wenn diese Schuld keinen Bezug zu der derzeitigen Untersuchung haben musste; ein pummeliger Kerl namens Ierck Kzinscki, der zusammen mit Li-Tsan seine Ausbildung absolviert hatte und sehr für sie zu schwärmen schien; eine Verschwörungstheoretikerin namens Gilian Brenner, die eine Theorie entwickelt hatte, derzufolge beide Morde auf das Konto der Tchi gingen, die den ganzen Kohlensack umrundet hatten und sich unterwegs ein Szenario hatten einfallen lassen, das es ihnen gestattete, die Morde zu begehen, obwohl sie keinen Zutritt zu der Station hatten; und ein Curtis Smalls, dessen flehentliche Bitten, von One One One versetzt zu werden, ihn in meinen Augen schon jetzt als künftiges Vollzeitmitglied von Gibbs Exilantengemeinschaft kennzeichneten.
Unter den Dienstverpflichteten fanden sich einige utopistische Idealisten, ein paar Verrückte, mehrere Eiferer, die vor Begeisterung über ihre hiesige Mission geradezu überschäumten, und eine Anzahl grantiger Zeitverpflichteter, die nur Stunden abrissen, bis sie endlich ihren Pass bekämen und in eine Welt ihrer Wahl ziehen konnten. Viele befanden es für nötig, wieder und wieder Einzelheiten aus den Welten zum Besten zu geben, aus denen sie gekommen waren. Wie so häufig, wenn Dienstverplichtete ihre Lebensgeschichten austauschten, umfassten selbige auch hier in deprimierend hohem Ausmaß Berichte über Militärdiktaturen, Theokratien, Orte, an denen eine Familie alle Macht an sich gerissen hatte und das Ökosystem vergewaltigte, das für das Überleben aller unverzichtbar war, sowie Welten, die sich in internen Konflikten so sehr aufgerieben hatten, dass das Dip Corps die einzige Möglichkeit bot, nicht von irgendjemandem in irgendeinem albernen Krieg gegen Zivilisten den Kopf vom Hals geschossen zu kriegen.
Wollen Sie wissen, warum die Menschheit nie in einen ernsthaften speziesübergreifenden Konflikt verwickelt war? Weil das wäre, als ginge man zum Essen aus, obwohl zu Hause die Speisekammer vor Köstlichkeiten überquillt. Wozu ein Buffet andernorts probieren, solange wir noch gar nicht all die tollen Möglichkeiten ausgekostet haben, uns gegenseitig umzubringen?
Unter Gibbs gesamter Mitarbeiterschaft fand ich vielleicht ein halbes Dutzend Leute, die eine tiefe Zuneigung zu Warmuth bekundeten, und erheblich mehr, die Santiago mürrisch und zähneknirschend Respekt zollten. Wie man es nur in kleinen, isolierten Gemeinschaften erwarten konnte, in denen Dienstverpflichtete in einer gefährlichen Umgebung unter schwierigen Bedingungen zusammenarbeiteten, war das Netz sexueller Beziehungen beinahe unentwirrbar. Die Antworten, die ich erhielt, strotzten nur so vor Gerüchten darüber, wer mit Warmuth zusammen gewesen war (ich zählte ein Dutzend Verabredungen, alle flüchtiger Natur,
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