Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Halbgeist: Roman

Halbgeist: Roman

Titel: Halbgeist: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam-Troy Castro
Vom Netzwerk:
ihrem Vorteil zu manipulieren. Sie haben sich überlegt, wie sie Umstände herbeiführen könnten, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Sie Ihren berüchtigten Zorn gegen sich selbst richten. Und in der Sekunde, in der Sie sich dem Unausweichlichen ergeben, werden sie mit den Zähnen knirschen, die Hände ringen und in epischer Breite die heroischen Taten jener öffentlich Bediensteten auswälzen, die aus solch tragischen Anfängen hervorgegangen war und doch so viel erreicht hat. Womöglich fühlen sie sich sogar schlecht dabei. Aber trauern werden sie nicht. Niemand trauert um ein Monster, Andrea.«
    Ich kauerte auf den Knien und klammerte mich an den Vertikalträger, den ich ins Auge gefasst hatte. »Niemand ... hat sie darum gebeten.«
    Die zwanzig Schritte hatten mich nur ein paar Sekunden gekostet. Mich von dem Horror jedes einzelnen Schritts zu erholen hatte mich anschließend eine ganze Minute stumm und paralysiert zurückgelassen. Mein Bauch hatte sich in eine Eishöhle verwandelt, mein Herz in eine außer Kontrolle geratene Maschine, die drauf und dran war, sich gewaltsam aus meiner Brust zu befreien.
    »Ich sollte Sie umfassend aufklären«, fuhr der Zwischenrufer fort.
    Ich stemmte mich auf die Beine, kämpfte an diesem letzten Abschnitt der Querstrebe um mein Gleichgewicht. Bemüht, nicht zu schwanken, wohl wissend, dass ich es doch tun würde, sammelte ich Mut und Nerven, um auch noch den letzten Sprung in die Sicherheit zu bewältigen.
    »Denn so funktioniert Ihr Geist. Sie haben bis dato nur überlebt, weil Sie sich weigern zu sterben, solange es noch etwas gibt, das Sie nicht in Erfahrung haben bringen können. Sie können nicht gehen, solange Sie die Gesichter Ihrer Unsichtbaren Dämonen nicht kennen.«
    Tirili! Gibt es hier noch irgendjemanden, der diese Bezeichnung nicht kennt?
    Nein, vergiss es. Das ist nur ein Versuch, dich aus der Fassung zu bringen. Konzentriere dich auf den nächsten Schritt. Einen perfekten Zeitpunkt wird es nicht geben. Je länger ich hier bleibe und versuche, Mut zu fassen, desto stärker verkrampfe ich mich, desto hoffnungsloser wird meine Lage. Die einzige Möglichkeit besteht darin, zu handeln.
    Aber meine Arme weigerten sich loszulassen.
    »Doch wenn ich Ihnen alles erzähle, dann gilt diese Ausrede nicht länger. Soll ich es Ihnen erzählen, Andrea? Würde Ihnen das einen Grund liefern zu springen?«
    Ich brachte mich so gut ich konnte in Position und stürzte mich auf den letzten Abschnitt meiner Reise über diesen Teil der Strebe.
    Fünf Schritte, und ich wusste, ich war in Schwierigkeiten. Ich hatte mich bereits zu weit nach links gebeugt und war dabei, mein Gleichgewicht zu verlieren. Gleichzeitig trug mich der eigene Schwung weiter voran, aber nun rannte ich nicht mehr, eher schon fiel ich in Zeitlupe.
    Mein rechter Fuß streifte die Strebe, statt in einem sicheren Winkel aufzusetzen, und sie glitt unter mir weg, und die Schwerkraft verlangte ihren Tribut. Meine Arme ruderten wie Windräder, und ich schaffte es für einen Moment, den Absturz zu verhindern - und in dieser Sekunde kreiselte ich um einhundertachtzig Grad um die eigene Achse, erhaschte kurz einen Blick auf zwei vertraute Gestalten, die am Ende einer Seilbrücke herumhüpften, die ich nicht mehr erreichen würde.
    Ich erkannte die Porrinyards in den zwei Gestalten.
    Das Getue brachte mich in Rage. Warum waren sie so darauf aus, sich selbst umzubringen? Das war mein Todeszeitpunkt.
    Dann war ich im freien Fall und wusste, dass diese vielen letzten Minuten nichts anderes gewesen waren als der Versuch, das Unvermeidliche hinauszuzögern, denn ich war tot, und diese idiotische, gehässige Stimme hatte vollkommen richtiggelegen, als sie erklärt hatte, ich wolle nur deshalb nicht sterben, weil noch so viele Fragen unbeantwortet geblieben waren.
    Nie verlor ich das Bewusstsein, und wäre ich weitergefallen, so hätte ich mit weit geöffneten Augen und voller Entsetzen jeden Millimeter dieses endlosen, unabwendbaren Sturzes in die Zersetzung inmitten der in der Tiefe lauernden Stürme registriert.
    Doch die gekrümmten Leiber anderer Gestalten, die herabsausten, um der meinen zu begegnen, sah ich nicht.

14
    RÜCKZUG
    Halb begleiteten, halb trugen mich die Porrinyards zu dem Gemeindezelt, in dem ich den größten Teil der Befragungen dieses Tages durchgeführt hatte. Sie verpassten mir ein betäubendes Pflaster mit einem Sedativum, das jedoch nicht imstande war, die Auswirkungen des Entsetzens zu

Weitere Kostenlose Bücher