Halbgeist: Roman
leisteten einfach wie Automaten ihre Zeit ab und taten nur das Minimum dessen, was von ihnen erwartet wurde. Aber die meisten nutzten den Vorzug des Bonussystems zumindest teilweise und kürzten die Zeit um eine Stunde hier oder einen Tag dort, stets auf der Suche nach einem Vorteil, während sie darauf warteten, dass ihr Vertrag ablief.
Der große Vorteil dabei ist die Tatsache, dass gerade die talentierten und engagierten Leute ermutigt werden, mehr zu arbeiten. Der große Nachteil ist, dass es genau diesen Leuten die Möglichkeit gibt, das Corps mit allen Vorzügen früher zu verlassen, sodass die Arbeit am Ende den Lustlosen und Apathischen überlassen bleibt.
Das mittlere Management des Dip Corps ist durchsetzt von Funktionären mit der ganzen Begabung eines Zementblocks, die ausschließlich auf Basis der langen Vertragslaufzeit in ihre derzeitigen Positionen aufgestiegen sind, darüber hinaus aber nichts zu bieten haben.
Auf meine eigene Arbeit hat sich all das nie ausgewirkt, da mein Vertrag unbefristet ist und jede Stufe unter meiner absolut besten Leistung die Dinge für mich nur noch schlimmer machen könnte. Aber auch ich hatte mit einer unermesslichen Zahl menschlicher Nullen zu tun, die einfach so lange blieben, bis sie zu einer Nummer eins wurden. Das macht keinen Spaß. Aber es ist pure Zeitverschwendung, sich darüber zu streiten. Die Dinge sind, wie sie sind.
Teamweite Personalbeurteilungen aus Einrichtungen des Dip Corps werden üblicherweise vor den Dienstverpflichteten geheim gehalten, um Konflikte, Eifersucht und Zweifel zu unterbinden, aber der Zugriff auf diese Daten ist eines der Privilegien einer Repräsentantin der Staatsanwaltschaft: eine gute Sache, denn das Muster aus Belohnungen und Bestrafungen ist eine hervorragende Orientierungshilfe für Außenstehende, die sich gezwungen sehen, die Machtverhältnisse in einer Einrichtung nachzuvollziehen, die so abgelegen ist wie die menschliche Gemeinde von One One One.
Die Akten von Warmuth und Santiago hatte ich mir bereits am ersten Tag angesehen. Nun wollte ich die anderen Leute, mit denen ich es zu tun hatte, ein wenig unter die Lupe nehmen.
Die neueste Belohnung weckte sogleich meine ganze Aufmerksamkeit. In das System eingegeben von Peyrin Lastogne nach der Festnahme von Mr. Gibb, beinhaltete sie einen kleinen Zeitbonus über vierzig Minuten für eine Hannah Godel zur Anerkennung ihrer Bemühungen, Li-Tsan Crin im Zuge der Auseinandersetzung zu fixieren. Ein Schnäppchen, schließlich hatte sie mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun gehabt und mir überdies versichert, sie hätte nichts gesehen.
Eine Hytexsuche nach sämtlichen Belohnungen der letzten Nacht offenbarte mehrere Boni mit einem Durchschnittswert von dreißig Minuten, die einer ganzen Anzahl Personen gewährt worden waren, deren Antworten auf meine Fragen gleichermaßen nichtssagend ausgefallen waren. Das war nicht ungewöhnlich. Das mittlere Management bevorzugte von jeher die Leute, die dem mittleren Management wohlgesonnen waren. Korruption, sicher, aber von einer unbedeutenden und vermutlich auch unvermeidbaren Art.
Ein genauerer Blick in Godels Akte verriet einen steten, wenn auch nicht allzu beeindruckenden Fluss derartiger Boni, womit sie ihre Zeit um sieben Prozent schneller abarbeitete als der Kalender. Eine nette, nicht eben begeisternde, aber verlässliche Leistung - nichts, was irgendeinen besonderen Verdacht hätte erwecken können. Aber ich wollte an diesem Tag doch noch ein bisschen mehr Zeit mit ihr verbringen.
Vorerst grub ich einfach weiter. Selber Tag. Ein Monatsbonus auf die Verträge von Oscin und Skye Porrinyard für ihre maßgebliche und heroische Leistung zur Rettung meines Lebens. Ebenfalls autorisiert von Mr. Lastogne, auf Gibbs ausdrückliche Bitte. Ich war ein wenig enttäuscht, dass ich nicht mehr als einen Monat wert war, aber was soll's. Gibb mochte mich nicht. Alles in allem waren sie dem Kalender um verlässliche 20 Prozent voraus: eine überdurchschnittliche Leistung.
Die nächsten drei oder vier Personen, die ich überprüfte, erhielten ihre Boni in einem Umfang, der durchaus angemessen erschien; vielleicht waren sie mal ein bisschen zu hoch und dann wieder etwas zu niedrig, aber die Differenzen nach oben oder unten lagen alle innerhalb der Grenzen innerbetrieblicher Präferenzen. Schließlich, und ich habe genug Gründe, das ganz genau zu wissen, kann man gute Arbeit leisten und trotzdem einen persönlichen Feind zum Vorgesetzten
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