Halbgeist: Roman
waren. Ich wusste nicht, ob er wie Li-Tsan und die Porrinyards Nachforschungen über mich angestellt oder ob er durch Lastogne von meinem Werdegang erfahren hatte. Aber ich erinnerte mich sehr gut an den Blick, mit dem Burr und Wells mich gemustert hatten, und mir wurde klar, dass sie ebenfalls Bescheid wussten.
Was sollte ein Anführer unter Beschuss auch sonst mit seinen Bewachern besprechen, während er darauf wartete, dass die für seine Vernehmung zuständige Person eintraf? Außer vielleicht, dass es Gründe gab, warum genau dieser Person nicht zu trauen war?
Bis zum Vormittag würde jeder im Hangar die ganze hässliche Geschichte kennen.
Das Einzige, was Gibb nicht bedacht hatte, war die Tatsache, dass ich diese Last nicht erst seit meiner Ankunft auf One One One mit mir herumschleppte und daran längst gewöhnt war.
Ich erhob mich, drückte die Handflächen in den Lendenwirbelbereich und bog den Rücken durch, bis ich ein Knacken hörte. »Das reicht mir nicht, Sir. Und solange ich nicht zufrieden bin, bleiben Sie unter Arrest. Ich werde Vorkehrungen für Ihre Unterbringung treffen und das Kommando an Mr. Lastogne übergeben.«
Er biss sich in die Wange. »Ich wünschte, Sie würden das lassen, Counselor.«
»Dann bieten Sie mir etwas an. Seien Sie zur Abwechslung mal ein bisschen mitteilsamer. Ich werde Ihnen sogar die Wahl lassen. Entweder Sie erzählen mir, was zwischen Ihnen und den Höhenängstlichen wirklich vorgeht, oder Sie teilen mir alles mit, was Sie über Lastogne wissen.«
Er blickte zu Boden, doch das war keineswegs eine Geste der Kapitulation. Er zog sich lediglich aus dem Gespräch zurück.
Ich wartete, bis ich vollkommen überzeugt war, dass das alles war, was er mir zu bieten hatte. Dann kehrte ich ihm den Rücken zu und ging zurück in den Hangar. Meine Schritte erzeugten ein sanftes Geräusch auf einem Deck, das weicher war als einige der Menschen, die es beschritten.
16
KRIEG
Ich wollte nicht schlafen gehen. Ich fürchtete, ich könnte es mir nicht leisten. Aber ich schob den Zusammenbruch schon seit Stunden vor mir her, und der Schlafmangel raubte mir langsam die Denkfähigkeit.
Und trotzdem stellte ich mir vor, wie ich stundenlang flach auf dem Rücken lag und in die Dunkelheit starrte, während die zerfaserten Enden meiner Ermittlungen mich um den Schlaf brachten. Das wäre nicht das erste Mal, dass ein Einsatz mir den Schlaf raubte. Aber ich genoss pure Vergessenheit, durchbrochen nur von den kürzest vorstellbaren Traumsequenzen: meine menschliche Mutter, die mich auf die Stirn küsste, als ich im Bett lag und tat, als schliefe ich. Es fühlte sich so real an, dass ich erwachte und blinzelnd gegen die Orientierungslosigkeit ankämpfte, die sich stets einzustellen pflegt, wenn man an einem fremden Ort nächtigt.
Viel später setzte ich mich auf.
Ich hatte mir eine der vier Kojen an Bord des Dip-Corps-Schiffs zugewiesen. Dort fühlte ich mich sicherer als in einem Schlafkubus inmitten meines Verdächtigenkaders. Die Ironie, dass ich folglich mein Quartier mit den beiden Personen teilte, die ich hatte festnehmen lassen, war mir nicht entgangen, aber ich hatte schon Schlimmeres erlebt. Ich benutzte eine Handschalldusche zur Körperreinigung, schlüpfte in frische schwarze Kleider, nahm ein Frühstück ein und meldete mich im System an.
Der Schlüssel zu meinen weiteren Nachforschungen lag in einem Phänomen, auf das Lastogne kürzlich hingewiesen hatte. Dienstverpflichtete unterschrieben für fünf, zehn oder sogar zwanzig Jahre, je nachdem, wie verzweifelt sie waren und wie hoch das Corps ihre Dienste bewertete. Im Grunde verpfändeten sie ihr Leben im Austausch für ein Ticket, mit dem sie ihre Heimatwelt hinter sich lassen konnten, und ein Ruhestandspaket, das eine unbeschränkte Passage zu dem von ihnen selbst gewünschten Ort umfasste sowie den unbegrenzten Aufenthalt an ebendiesem Ort.
Trotzdem will niemand so lange auf seinen Lohn warten, also wurde ein Bonussystem eingeführt. Diejenigen, die sich auf die eine oder andere Weise hervortun, erhalten einen Zeitbonus. Ein schwer arbeitender Diplomat mit einem Vertrag über zwanzig Jahre kann seine Pflicht bereits in der Hälfte der Zeit ableisten, indem er weit mehr als nur Dienst nach Vorschrift leistet. Solch ein Kunststück brachte kaum einer zustande, da die meisten auch keine Wunderkinder waren. Einige, die Platzhalter oder die Drogenbenebelten, die einen großen Teil der Mitarbeiterschaft des Dip Corps stellten,
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