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Halbmast

Halbmast

Titel: Halbmast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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hatte Carolin gehört, dass Schmidt-Katter sich vor Sabotageakten fürchte. Umweltschützer hatten starke Bedenken gegen die Fahrt auf der Ems geäußert, und die Diskussionen über den Bau eines gewaltigen Sperrwerkes in der Dollartmündung zogen sich schon seit einigen Jahren hin. Wohl aus diesem Grund wurde scharf kontrolliert, wer an Bord der
Poseidonna
durfte und wer nicht. Deswegen vielleicht auch die Gouvernante Ebba John. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Noch nicht einmal der Eindruck, den sie und Leif an Bord bekommen sollten.
    Endlich Deck 7.   Hier musste es sein.
    Den Mann im Schatten des Treppenvorsprunges hätte Carolin fast übersehen. Er war blond und schon etwas älter, fast ein wenig dick, der Arbeitsanzug spannte über dem kleinen Bauch. Er zog sich gerade eine Schweißermaskevom Gesicht, und Carolin konnte sehen, dass er schwitzte. Als er sie bemerkte, versuchte er ein wenig tiefer in den grauen Schatten zu tauchen. Er hatte ihr Kommen sicher nicht bemerkt, ohne Schuhe war sie lautlos die Treppe hinuntergehuscht. Hatte sie ihn erschreckt?
    «’n Feierabend», murmelte er.
    «Gleichfalls», gab Carolin zurück. Welche Tür musste sie nehmen? Waren sie heute Nachmittag mit Ebba John in den linken oder den rechten Flur gegangen? Backbord oder steuerbord hieß es doch hier. «Entschuldigen Sie, haben Sie eine Ahnung, wo es zu diesen Musterkabinen geht?»
    Der Kerl blieb noch immer im Halbdunkel stehen, was Carolin nervös machte. Vielleicht hätte sie einfach ganz souverän in einem der Gänge verschwinden sollen, statt diesem unbekannten Mann ganz offensichtlich ihre Orientierungslosigkeit zu zeigen. Carolin fürchtete sich nicht vor gesichtslosen Männern in dunklen Parks oder vor finsteren Gestalten in Tiefgaragen. Doch dieses Schiff mit seinen ewig gleichen Labyrinthgängen war ein unheimlicher Ort. Sie würde nicht gern in Panik geraten, wenn dieser Mann nun ganz plötzlich auf sie zukäme.
    Links, Glastür, links. Das wusste sie noch, das hatte sie sich eingeprägt. Aber welcher Gang?
    Es war nicht so, dass der Mann mit seiner Antwort gezögert hätte. All diese Gedanken schossen im Bruchteil einer Sekunde durch Carolins Kopf.
    «Ich glaube rechts», antwortete der Kerl nur, ohne sich zu rühren.
    «Danke!»
    «Keine Ursache.»
    Sie stolperte in den Gang. Rechts war steuerbord. Steuerbord war in Fahrtrichtung rechts. Aber wo war eigentlich die Fahrtrichtung? Morgen früh würde sich die
Poseidonna
rückwärts fortbewegen. Das hatte irgendetwas mit dem Tiefgang zu tun. Wenn ein Schiff rückwärts fuhr, wo war dann steuerbord?
    Carolin würde sich hier nie zurechtfinden. Vielleicht sollte sie sich Kreidepfeile auf den Boden malen, wie früher, wenn sie auf Kindergeburtstagen Schnitzeljagd spielten. Oder einen roten Faden von der vertrauten Treppe bis zu ihrer Kabinentür spannen. War das die Stelle, wo sie links abbiegen musste?
    Sie schaute sich noch einmal kurz um. Der Typ stand nicht mehr da. Weder im Schatten noch im Schein der Halogenleuchten. Schon komisch, ein einzelner Schweißer, der Überstunden machen musste?
    Dahinten war die Glastür. Erleichtert atmete sie auf, Carolin war sich sicher, dass sie den richtigen Weg gefunden hatte.
     
    Sie hatte drei Filme belichtet. Aufnahmen von den Rettungsbooten, die halb über der Reling befestigt und mit roten Planen bedeckt waren. Bei Tageslicht wollte Carolin unbedingt noch einmal dorthin, die Farben müssten dann klar und kontrastreich strahlen. Fotos von den Pollern am Kai, von den einige hundert Meter entfernten, beleuchteten Werfthallen, von der fast schon einschlafenden Provinzstadt, die morgen im Mittelpunkt eines kleinen Spektakels stehen würde. Fernsehteams von allen Nachrichtensendern hatten sich einquartiert, es gab Übertragungen im Radio. Carolin wusste, dass sich einige Journalisten um einen Platz auf diesem Schiff gerissen hatten. Und ausgerechnet sie stand an Deck und konnte knipsen.
    Eine gute Momentaufnahme hatte sie auch im Kasten: Schmidt-Katter von hinten, Hand in Hand mit seiner Frau.Das Paar schlenderte über das Promenadendeck, und beide trugen wetterfeste Jacken über ihrer Abendbekleidung. Carolin kam wieder das Bild in den Sinn, das sie morgen so etwas Ähnliches wie eine Geburt miterleben würden. Ludger Schmidt-Katter war der werdende Vater. Nervös, gespannt und bemüht, bei allen Vorgängen eine gute Figur zu machen.
    Durch die Personalgänge gelangte sie in den vorderen Teil des Schiffes. Leif wartete

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