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Halbmast

Halbmast

Titel: Halbmast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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möglich. Er musste sich einen anderen Weg suchen oder   …
    Oder bleiben. Warum eigentlich nicht?
    Auf einer Überführung fuhren nur wenige Ausgewählte mit. Nur die Chefs und Geldgeber mit ihren Frauen. Und ein paar Mechaniker, aber nicht die von den normalen Trupps. Nur Leute, die ohnehin schon einen Fuß in der Tür zur Chefetage hatten. Solche wie Wolfgang Grees zum Beispiel. Marten hatte diese Leute immer heimlich beneidet, und wahrscheinlich war es seinen Kumpels von der Schicht ebenso gegangen. Jeder wollte gern einmal dabei sein. An einer Überführung nach Eemshaven teilnehmen. Die meisten Schiffsbauer trafen sich bei der Abfahrt auf dem Werftgelände, um wenigstens auf diese Art mit von der Partie zu sein.
    Marten wusste, wie stolz und wehmütig die Arbeiter einem solchen Schiff hinterherschauten, wenn es die Werft verließ. Er war einige Male dabei gewesen. Bei den Containerschiffen und den Autofähren. Da war es schon eine tolle Sache gewesen. Nie würde er das Gefühl vergessen, das er und seine Kollegen hatten, wenn sie mit der Belegschaft beim Werfttor Spalier standen.
    Bei der
Poseidonna
wird es alles noch eine Nummer größer sein.
    Wenn er sich nun von Bord schlich, würde er bei der Abfahrt allein am Deich stehen. Obwohl er doch vor einem Dreivierteljahr selbst noch an der
Poseidonna
gearbeitet hatte. Er hatte einen Anteil an diesem Schiff. Er hatte ein Recht, mit dabei zu sein.
    Vielleicht war das verschlossene Portal so etwas wie einZeichen oder eine Einladung, an Bord zu bleiben. Außerdem kannte er sich hier aus, er wusste, wo man im Notfall untertauchen konnte. Vielleicht würde es ihm gelingen, unentdeckt zu bleiben. Das wäre eine Genugtuung, ein kleiner Sieg.

Carolin
    Bis auf die Aufregung, dass Doktor Perl nicht zum Empfang erschienen war, war das Treffen im Kapitänsrevier entspannt, beinahe nett verlaufen.
    Carolin beobachtete gern Menschen, und sie spann sich in ihrem Kopf kleine Geschichten zwischen den unbekannten Personen zurecht. Dazu waren Stehempfänge besonders gut geeignet.
    Warum hatte der reiche, fette Reeder aus Amerika eine solch attraktive Gattin – seine Hand hatte sich zu Beginn der Veranstaltung nicht verirrt   –, turtelte dann aber vor der Kapitänstoilette mit einer nichts sagenden Blondine, die eigentlich dafür zuständig war, den Champagner nachzufüllen? Carolin knipste aus diskreter Entfernung und sagte scherzhaft zu Leif, dass sich in einer Notlage mit diesem Beweisfoto Geld machen ließe.
    Weshalb konnten sich die beiden Schwestern – die eine verheiratet mit dem Firmenchef Schmidt-Katter, die andere auf der ewigen Suche nach ihrem abwesenden Gatten Perl – augenscheinlich nicht ausstehen? Sie standen in ihren langen Abendkleidern brav nebeneinander und achteten darauf, nicht zu viel zu essen, aber sie wechselten kein Wort miteinander und ignorierten sich gekonnt.
    Wahrscheinlich fielen diese Details niemandem wirklich auf, aber Carolin hatte ein Auge für Dinge, die man nicht sah oder vielmehr nicht sehen sollte. Aus diesem Grund hätte sie in keinem anderen Beruf arbeiten können. Sie musste schauen und spüren und verstehen, und nur die Kamera konnte diese Dinge, die sie erkannte, auch für andere sichtbar machen. Ohne die Nikon wäre Carolin nicht nur blind, sondern irgendwie auch stumm gewesen.
    Leif aß schon wieder, kleine Garnelenschwänze in knusprigem Teig. Er zog sich in eine Ecke zurück und schien die Aufnahmen seines Diktiergerätes abzuhören. Seiner Miene nach zu urteilen hatte auch er einen ergiebigen Abend erlebt.
    Carolin setzte sich mit einem Seufzen neben ihn. «Meine Beine tun weh, ich leg mich aufs Ohr!»
    «Ich hätte aber gern noch ein paar Außenaufnahmen   …»
    «Mache ich noch, Chef.» Ein Augenrollen konnte sich Carolin nicht verkneifen. «Aber erst einmal ziehe ich mir wieder meine Hose und die bequemen Turnschuhe an. In Abendkleid und Pumps kann man schlecht mitten in der Nacht auf einem halbfertigen Schiff Fotos machen. Entweder man bricht sich alle Knochen oder man erfriert irgendwo an Deck.»
    «Wenn die Aufnahmen bis dahin im Kasten sind, soll es mir recht sein   …» Leif lachte. Seine Augen wurden schmal, zogen sich in die Länge. Beinahe asiatisch sah er aus, wenn er sich über jemanden lustig machte. Er hatte so weiße Zähne, dass man meinte, sie seien unecht. Doch wahrscheinlich kam das Weiß daher, dass er nie Tee oder Kaffee trank, nie rauchte, dafür aber Sport trieb wie ein Wahnsinniger. Natürlich

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