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Halbmast

Halbmast

Titel: Halbmast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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schließlich ein silbernes Kästchen heraus. Lächelnd gab sie ihm den Stock zurück. «Besser als Draht!» Nun schien sie ihn erstmals bewusst zu mustern. «Ich bin Carolin, Fotografin. Und zurzeit auch Journalistin, da mein Kollege irgendwie verschwunden ist.» Sie hielt ihm das Diktiergerät vor die Nase. «Das hier ist sein Ein und Alles. Wäre es nicht aus dem Loch herausgekommen, hätte es später ein ziemliches Drama gegeben.» Kurz untersuchte sie den kleinen Recorder. Eine Ecke des Gehäuses war abgebrochen, die durchsichtige Abdeckung bis auf einen winzigen Teil zersplittert. «Ich hoffe nur, dass es noch funktioniert.» Im ersten Moment etwas unschlüssig, tippte sie auf den verschiedenen Tasten herum. «Kennen Sie sich damit aus?»
    «Nein, ich glaube nicht.»
    «Stimmt, als Tischler müssen Sie das auch nicht. Aber warum sind Sie überhaupt bei der Überführung dabei? Dochwohl kaum als Notfalltischler, falls mal ein Stuhl zusammenkracht.»
    Es war zu spät, dieses Treffen als bloße Zufallsbegegnung abzutun. Er war Carolin bereits zu nahe gekommen. Warum sollte er nun nicht gleich mit der Wahrheit herausrücken? Es wäre falsch, ihr Kennenlernen mit einer Lüge zu beginnen, die ohnehin bald herauskommen würde. Schließlich sollte er ihr Vertrauen gewinnen. Das war der Plan.
    «Ich bin ein blinder Passagier.»
    Erst schaute sie erstaunt, dann lächelte sie. «Für einen Blinden haben Sie aber eben verdammt lange auf meinen Hintern geschielt.»
    Sie machte ihn verlegen, sie ertappte ihn. Ohne dass er es spürte, schien sie ihn genau zu beobachten. «Geben Sie mal her.» Er streckte die Hand nach dem Gerät aus. Das Batteriegehäuse war ebenfalls defekt, zudem schien es im Abflussloch feucht gelegen zu haben. Er zog den Deckel ab, nahm die Batterien heraus und wischte mit dem kleinen Finger über die Kontakte.
    «Was machen Sie denn hier auf dem Schiff?», fragte Carolin und hob die schwarze Kamera aus der Fototasche. «Darf ich Sie fotografieren?»
    Pieter pustete in das Gehäuse. Einige feine Plastiksplitter hatten sich in der Batteriefeder verfangen. «Bitte, lieber nicht. Ich habe keinen Witz gemacht, ich bin wirklich inkognito hier.»
    «Aber Sie sind doch Tischler!»
    «Ja, bin ich auch. Doch außer mir ist kein Tischler unterwegs auf diesem Schiff. Auch kein Maler, kein Fliesenleger, kein Dekorateur, kein Schweißer. Die sind alle gestern in der Werft ausgestiegen.»
    «Aber ich habe gestern Abend einen Schweißer gesehen. Er stand auf Deck 7 an der Zwischentreppe. Er war imSchatten, riesiger Typ, ich hatte wirklich ein bisschen Panik und bin einen Schritt schneller gelaufen.»
    «Das kann eigentlich nicht sein. Es wurde strengstens kontrolliert, dass alle Arbeiter der letzten Schicht die
Poseidonna
verlassen. Ich habe es lediglich einem Zufall zu verdanken, dass ich wieder draufgekommen bin.»
    «Und warum sind Sie wieder an Bord gegangen?»
    Sie war intelligent. Sie fragte nicht nach dem Wie, sondern nach dem Warum. Dies war die bedeutendere Frage. Trotzdem bekam sie vorerst keine Antwort.
    Pieter hatte den Fehler gefunden. Das grüne Lämpchen gab ein schwaches Licht von sich, nachdem er mit seinem Taschenmesser die Kontakte ein wenig zurechtgebogen hatte. «Hier, bitte!»
    «Toll, ich hätte nicht damit gerechnet, dass dieses Ding noch lebt. Danke!» Sie drückte die
Play-
Taste. Ein leierndes «Hallo   … Test   … Test» kam, kaum hörbar, heraus. «Neue Batterien, würde ich sagen. Diese hier scheinen ein wenig feucht geworden zu sein. Ich werde ein paar aus meiner Kabine holen.» Sie stieg auf den Poolrand und wollte gehen.
    «Verpfeifen Sie mich nicht.» Er hatte diesen Satz einfach so dahingesagt, ohne sich vorher zu überlegen, welche Konsequenzen er haben könnte. Natürlich stieg sie sofort darauf ein: «Nur, wenn Sie mir erzählen, was los ist! Sie sind doch nicht einfach so zum Spaß hier aufgetaucht.»
    Pieter stieg ebenfalls aus dem trockenen Bassin. Nun standen sie nebeneinander auf den Holzplanken. Er wühlte sich mit der rechten Hand durch die Rastalocken. Wie sollte er es ihr sagen? «Ich bin der Saboteur!»
    Erst lachte sie laut. Ihre weißen Zähne standen vorn ein wenig schräg, die Schneidezähne waren länger als die Eckzähne. Erst als sie gewahr wurde, dass er keine Miene verzog, schien sie zu begreifen, dass er keinen Scherz gemachthatte. «Sie waren es also, der diesen Ruck verursacht hat? Aha! Und wie haben Sie das angestellt? Eine kleine Bombe am Hauptgenerator,

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