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Halbmast

Halbmast

Titel: Halbmast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Sitze gepresst worden. Im Gegensatz zu dem dicken schwarzen Mann, der einige Meter unter ihm auf der Zwischentreppe gestürzt war und geheult hatte, als hätte er sich alle Knochen gebrochen, hatte er sich nicht wehgetan. Der Verletzte war der Reeder. Pieter kannte diese massige Gestalt: Sinclair Bess. Einer der bestverdienenden Schwarzen in Amerika: «Black Businessman of the Year» in Amerika im selben Jahr, in dem Pieter in Emden sein Abitur gemacht hatte. Sinclair Bess’ Firma besaß eine Flotte von mehr als zwanzig Kreuzfahrtschiffen, eines luxuriöser und dekadenter als das andere. Als bekannt wurde, dass Bess seinen Neubau bei Schmidt-Katter in Auftrag geben würde, war ein Aufatmen der Erleichterung durch die Region gegangen. Diese Bestellung hatte die Werft vor dem sicheren Aus bewahrt. Wäre im letzten Jahr nicht die
Poseidonna
im riesigen Baudock entstanden, so hätte das Traditionsunternehmen die Tore schließen müssen. Und dann hätte man von Wilhelmshaven bis Emden, von Papenburg bis Norddeich auf halbmast geflaggt. Die Arbeitslosigkeit drohte wie eine Epidemie den ganzen Landstrich zu entvölkern. Der Auftrag des Amerikaners hatte gewirkt wie eine Schutzimpfung.Dass man dabei auch den Bau des Dollartsperrwerkes und die Vertiefung der Ems in Kauf nehmen musste, waren ungeliebte, aber unausweichliche Nebenwirkungen gewesen.
    Für Pieter und seine Leute war es gewesen, als hätte man die Pest mit den Pocken austreiben wollen.
    Er hatte vor einigen Minuten, nachdem sich das aufgeregte Rennen der Mechaniker gelegt hatte, das Rettungsboot verlassen und war durch eine abgegrenzte Kabelführungsschneise unbemerkt in den hinteren Teil des Schiffes gelangt. Über eine verdeckte Notfallleiter gelangte er nach unten. Sein Plan war, sich vorerst in der Tiefe des Schiffsrumpfes zu verstecken. Ganz weit unten kannte er sich aus. Er hatte sich dort schon einige Nächte um die Ohren geschlagen. Denn er hatte sich mehrmals illegal auf dem Schiff aufgehalten, immer auf demselben Weg war er nach Feierabend zurückgekommen. Versteckt in irgendwelchen Anlieferungen für die Tischlerei, die er selbst tagsüber hatte kontrollieren und inspizieren können, war er nachts an Bord gelangt. Dort unten fühlte er sich sicher; abgesehen von den regelmäßigen Inspektionen der Security, konnte er dort ungestört sein. Dachte er.
    Und irrte sich. Ganz unten, auf dem Deck, das später einmal eine private Sonnenterrasse der Luxusklassenkabine hergeben würde, lag eine Frau im noch trockenen Whirlpool auf dem Bauch und streckte ihren schlanken, aber viel zu kurzen Arm durch ein tellergroßes Loch im gefliesten Boden. Schnell wollte er wieder eine Etage nach oben steigen, doch sie schien seine Bewegung bereits im Augenwinkel wahrgenommen zu haben und drehte den Kopf nach ihm.
    «Können Sie mir helfen? Ich komme da nicht dran.» Ihre Stimme war angenehm, nicht hoch und singend. Er mochtees nicht, wenn Frauen die Bandbreite ihres Organs überstrapazierten. Sie sprach hingegen gelassen und trocken. Er blieb, wo er war. Nun hatte sie ihn ohnehin gesehen. Es war das Beste, sich ungerührt und beiläufig zu geben.
    «Was suchen Sie dort?»
    «Sind Sie von der Security?»
    «Sehe ich so aus?»
    Sie musterte ihn kurz. «Nicht wirklich.» Dann streckte sie ihren Arm wieder in das Bodenloch, die Sehnen an ihrem Hals dehnten sich, er konnte die Schlagader pulsieren sehen. Sie war schlank, die Schultern, die sich unter weißem Baumwollstoff abzeichneten, hätten auch zu einem vierzehnjährigen Jungen gepasst. Auch die Haare, glatt und dunkel, präzise kurz geschnitten, sahen nicht gerade weiblich aus. Aber trotzdem attraktiv. Pieter schaute nur selten Leute länger als einen unvermeidlichen Augenblick an. Dieses Mal aber war es ihm nicht unangenehm, die Frau ausgiebig zu betrachten, zumal sie sich wieder abgewandt hatte und mit dem Arm nach etwas angelte.
    «Was ist denn nun?», fragte sie.
    Er stieg in den im Boden eingelassenen Pool und hockte sich neben sie. «Wenn ich weiß, wonach ich greifen soll, dann probiere ich es gern.»
    «Ach so, ein Diktiergerät. Nicht größer als eine Zigarettenschachtel. Ich glaube, es ist hier reingerutscht, vorhin, als das Schiff gestoppt ist. Da am Poolrand habe ich ein paar Splitter gefunden, die zum Gehäuse passen könnten, also stehen die Chancen recht gut, dass sich das restliche Gerät hier in diesem Abfluss befindet. Ich hoffe es, denn wenn es nicht hier drinsteckt, dann liegt es in der Leda.» Sie

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