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Halbmast

Halbmast

Titel: Halbmast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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perfekte Versteck war. Es war ein überschaubarer und sicherer Raum, und eine Mulde aus Kabeln auf dem Boden bot eine verhältnismäßig bequeme Sitzgelegenheit, aufder Marten sogar ein paar Minuten eingedöst war. In wenigen Wochen würden hier die Lieferantenaufzüge auf und ab rauschen. Die meterlangen, dicken Stahlseile waren noch ganz blank und hingen bereits von oben herunter, in dreißig Meter Höhe konnte man den Boden der Kabine sehen. Als das Schiff stoppte, hatte die Aufzugmechanik geächzt. Ein unheimliches Geräusch, weil im Raum, der zwar so hoch, aber auch so verdammt eng war, ein merkwürdiges Echo ertönte. Kurz war Marten aus dem Schacht gestiegen und hatte aus einem Fenster geschielt, um herauszufinden, was geschehen war. Er befand sich im mittleren Teil des Schiffes, und genau an dieser Stelle hatte die Seite der
Poseidonna
etwas abgekriegt. Sie war gegen das Werfttor gerammt.
    Jemand musste die elektrischen Leitungen von Seitenstrahl- und Pod-Antrieb miteinander gekoppelt haben. Marten wusste, dass so etwas möglich war. Damals, als es mit den Umweltschützern so heftig zur Sache gegangen war, hatten sie im Kollegenkreis spaßeshalber Sabotagepläne gesponnen. Und einer hatte dafür plädiert, die getrennten Stromkreise durch eine relativ einfach zu montierende Zwischenleitung zu koppeln. Der Effekt wäre, so hatte der Kollege prophezeit, dass sich die Motoren, sobald sie einmal gemeinsam zum Einsatz kämen, in Reihe schalten würden. Irgendwie hatte das mit dem elektrischen Widerstand zu tun. Marten war im Gegensatz zu dem fachsimpelnden Kollegen kein Elektroingenieur, sondern Schweißer, er hatte also die physikalische Gesetzmäßigkeit, die dahinter steckte, nicht wirklich begriffen. Doch die Wirkung hatte er verstanden: Der drehbare Hauptantrieb und die Seitenstrahlruder würden sich nur noch gemeinsam schalten lassen, und dies würde für das Schiff bedeuten, dass es sich entweder nur noch im Kreis drehte oder völlig zum Stillstand kam.
    Marten war sich fast sicher, dass ein echter Saboteur aufdieselbe Idee gekommen sein musste. Doch er war sich ganz sicher, dass Wolfgang Grees, der beste Mechaniker der Schmidt-Katter-Werft, sehr bald dahinter kommen würde. Drei Arbeiter an Sicherheitsleinen kontrollierten bereits die äußere Bordwand. Marten erkannte an den Gesichtern und Gesten, dass der Schaden nicht so schlimm sein konnte. Die
Poseidonna
war stabil. Die Fachleute waren kompetent. Wer immer hier sein Unwesen trieb, hatte sich mit den Falschen angelegt. So dumm waren die Werftleute nun auch nicht. Sie kannten die Schwachstellen ihrer Schiffe genauso wie die Dinge, auf die sie stolz waren. Auch Marten hatte immer gewusst, welche Schweißnähte am ehesten zerbersten würden, wenn es eine Kollision geben würde. Mit dem modernen Laserschweißer zogen sie seit einigen Jahren Nähte wie mit dem Lineal. Sah gut aus, ging wesentlich schneller, doch Marten konnte schwören, dass eine Maschine nicht in der Lage war, die Arbeit eines Schweißers in der Qualität zu ersetzen. Nur die kleinen Nischen wurden noch von einzelnen Arbeitern gemacht.
    Deutsche Handarbeit. Haha, dass ich nicht lache, dachte Marten. Durch Svetlana hatte er kapiert, wie wenig Arbeit bei Schmidt-Katter wirklich noch von deutscher Hand getätigt wurde.
     
    Svetlana hatte eine Blinddarmentzündung gehabt. Eine lächerliche Blinddarmentzündung, an der heutzutage in Deutschland eigentlich kein Mensch mehr sterben musste. Wie lange brauchen sie im Operationssaal, um das Teil zu entfernen? Zwanzig Minuten? Dann drei Tage Hafersuppe und Tee.
    Wenn man versichert ist, ist eine Blinddarmentzündung nicht viel schlimmer als ein gebrochenes Bein.
    Doch wenn man, wie Svetlana, illegal in Deutschland ist und keine Krankenkasse hat?
    Dass Subunternehmer für Schmidt-Katter tätig waren und dass diese Firmen nicht selten Arbeiter aus Polen oder Russland beschäftigten, war Marten und seinen Leuten schon immer bekannt gewesen, und sie waren ihnen ein Dorn im Auge. Die «Pfennigschwitzer» nannten sie die Trupps, die für weit weniger als die Hälfte ans Gerät gingen. Es gab keinen Kontakt zwischen den Angestellten der Werft und den Ausländern, normalerweise arbeiteten sie an unterschiedlichen Schiffen. Die Deutschen auf den Traumschiffen, die Osteuropäer auf den Reparaturdocks oder den Frachtschiffen, die für Thailand und die Philippinen konstruiert und gefertigt wurden. Die Legalen gingen morgens durch das Tor A oder B, alle etwas

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