Halbmast
das Beste, die Suche nach Leif mit der Fahndung nach seinem Diktiergerät zu beginnen.
Sie bräuchte jemanden, der ihr die Türen zu den Luxuskabinen aufschloss, aber sicher hatte Ebba noch immer mit dem Millionär zu tun. Vielleicht gelang es Carolin auch auf eigene Faust, den Weg auf die fremden Balkone zu finden. Später könnte sie immer noch jemanden um Hilfe bitten.
Ebba John hatte bei der Ankunft erwähnt, dass Leifs Zimmer direkt an eine dieser Nobelsuiten angrenzte. Und sie hatte ihm auch einen Balkon versprochen. Vielleicht fandsich über Leifs Kabine ein Weg auf die hinteren Terrassen. Carolin war nicht zimperlich, wenn es um halsbrecherische Einsätze ging. Zudem, bei der Gelegenheit könnte sie auch einen Blick in Leifs vier Wände werfen und vielleicht einen Hinweis finden, wo er steckte. Oder sie entdeckte ihr Handy, dann könnte sie zumindest einmal in der Redaktion nachfragen, ob die Näheres wussten. Carolin nahm zwei Stufen auf einmal, um auf das vertraute Deck 7 zu gelangen.
Leifs Kabinentür war unverschlossen. Der Raum war in angenehmem Blau eingerichtet und wesentlich geräumiger als ihr Schlafzimmer. Das breite Bett war zerwühlt, Leif schien einen unruhigen Schlaf gehabt zu haben, jedenfalls waren beide Kissen zerdrückt und eine der Bettdecken lag auf dem Boden. «Leif?», fragte sie vorsichtshalber, doch wie erwartet blieb eine Antwort aus. Seine Wetterjacke hing am Haken. Sie öffnete die Schranktür, doch dort hingen keine Kleidungsstücke. Sie fand in den Fächern lediglich zwei sorgsam gebügelte Hemden, ein Paar Socken und die noch ein wenig feuchte und verschmutzte Stoffhose von gestern Abend. Das dazu passende Jackett hatte er anscheinend angezogen, es war nicht zu finden, auch nicht im zweiten Schrank oder im Badezimmer. Also musste er ihr Handy bei sich haben. So ein Mist!
Sie strich mit den Fingern über den glatten Marmor des Badewannenrandes. Dort waren Reste von Schaum im Abfluss. Er musste also gestern Abend oder heute Morgen gebadet haben. Auf der Ablage lagen seine anderen Utensilien in einem geöffneten Lederetui. Rasierzeug, Zahnbürste, Kamm und eine angebrochene Packung Kondome. Wann und wo hatte er diese Dinger zum Einsatz gebracht? Oder lagen die grundsätzlich und für alle Fälle in seinem Kulturbeutel?
Was mache ich eigentlich hier?, dachte Carolin verlegen. Leif ist erst seit ein paar Minuten weg und ich nehme mir schon das Recht heraus, seine intimsten Sachen zu inspizieren. Er nahm Medikamente. Keine gewöhnlichen Aspirin oder so etwas, es waren Tabletten, die Carolin noch nie gesehen hatte.
Convulsofin
, stand auf der Schachtel,
Wirkstoff Valproinsäure.
Kurz überlegte sie, auf dem Faltblatt nachzulesen, für oder gegen was dieses Medikament eingenommen wurde. Doch damit ging sie einen Schritt zu weit, reglementierte sie sich selbst. Dies war seine Privatsphäre.
Sie ging wieder in das Schlafzimmer zurück. Die Tür zum Balkon ließ sich leicht öffnen. Der Erker dahinter war winzig, hier würde nur ein sehr kleiner Liegestuhl Platz finden. Doch wenn man vor der Brüstung den Pazifik an sich vorbeiziehen sah, war es sicher trotzdem ein sehr angenehmes Plätzchen. In diesem Moment bestand die Aussicht jedoch nur aus einem sehr eingeschränkten Blick auf eine graue Wand, die zu einem der werfteigenen Baudocks gehörte. Sie beugte sich nach vorn und schielte um die Ecke. Tatsächlich lag dort eines dieser Privatdecks. Mit einem großen Schritt würde sie es an der Außenwand entlang schaffen. Carolin schwang sich auf die Reling und hielt sich an einem oberen Metallgestänge fest. Sie war bei solchen Einsätzen immer gut in Form. Ihr Chefredakteur hatte Carolin nach einem ähnlich akrobatischen Einsatz den schmeichelhaften Spitznamen
Catwoman
verliehen. Sie fand mit der linken Fußspitze das benachbarte Balkongitter, verlagerte das Gewicht, dann streckte sie ihren Arm und bekam eine Kante zu fassen. Mit einem Schwung hatte sie sich hinübergezogen.
Carolin sprang von der Reling und landete auf dunklen Holzdielen. Sie schaute sich um. Die Privatterrasse war riesig und hatte neben einem Sonnenpodest und einer Bar eineneigenen, kleinen Pool. Am hinteren Ende führte eine Metallleiter zu den angrenzenden Stockwerken. Sie würde viel abzusuchen haben.
Pieter
Nie hätte er gedacht, dass der plötzliche Stopp des Schiffes sich anfühlen könne, als fahre man mit voller Fahrt gegen eine Mauer. Er selbst war beim Aufprall in seinem Rettungsboot gegen einen der
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