Halbmondnacht
ungeduldig, »was witterst du?« Jetzt inhalierte ich noch einmal tief, um zu prüfen, ob ich nicht selbst noch etwas entdeckte.
»Der Tiergeruch überdeckt fast ganz einen anderen seltsamen Geruch«, erklärte Tyler. »Etwas wie eine Warnung.« Er flehmte erneut. »Verwesung. Oder Verfall.«
»Ja, jetzt rieche ich es auch«, pflichtete ich ihm bei. »Aber das mit den Tiergerüchen verstehe ich nicht. Das ist eine seltsame Mischung, die ich nicht gefiltert bekomme.« Ich atmete noch einmal durch den Mund ein und ließ die Luft langsam durch die Nase entweichen.
Tyler hatte recht. Irgendetwas stimmte mit diesen Ziegen nicht.
Dieses Mal schmeckte ich es auch: Der erdige Geruch hatte einebeißende Unternote, die darin nichts zu suchen hatte. »Kannst du die Bergziegen irgendwo entdecken?« Vorsichtig trat ich einen Schritt zurück, ganz nah an den Rand des Felsvorsprungs, und legte den Kopf in den Nacken, soweit es irgend ging.
»Da oben sind sie!« Danny zeigte die Steilwand hinauf. »Da rechts, siehst du sie?«
»Ja, ich sehe sie. Stehen sie nur da, oder bewegen sie sich?«, wollte Tyler wissen.
»Soweit ich das sagen kann, bewegen die sich kein Stück«, antwortete ich. Reglose Bergziegen, sehr seltsam. »Schlafen die im Stehen, weiß das einer? Oder sind sie nachtaktiv? Sie riechen schon, als ob sie lebendig wären. Wären sie tot, würden sie jedenfalls nicht so dastehen, wie sie es gerade tun. Oder irre ich mich da?«
»Da ist es wieder, unser sprichwörtliches Glück: besessene Bergziegen, na so was Blödes!«, murrte Danny. »Erst sind es Killer-Fledermäuse, dann Wassergeister und Spinnentiere so groß wie Miezekatzen; reicht das nicht schon als Attraktionen für einen Privatzoo? Muss sie wirklich auch noch Zombie-Ziegen halten?«
»Moment mal.« Nachdenklich schwieg ich, Sekunden verstrichen. Dann: »Eamon hat doch behauptet, das Portal scheine etwas ganz anderes zu sein, als es eigentlich ist. Klar, Selene würde ja auch nicht in die Welt hinausposaunen wollen, wo das Portal ist. Warum es also nicht mit einer Herde Bergziegen kaschieren? Die gehören doch in diese Landschaft und fallen daher nicht weiter auf. Der Magiegeruch ist hier sowieso sehr schwach. Sie hat ihn mit dem Geruch der Ziegen einfach überdecken wollen. Weil sie lebende Wesen sind, können sie einen Teil von Selenes magischer Energie absorbieren. Das ist anders als bei den Skorpinnen, die sie selbst durch einen Zauber erschaffen hat. Wir sind mit den Ziegen nicht über ihre nächste Verteidigungslinie gestolpert. Die Ziegen sind vielmehr unsere Eintrittskarte in Selenes Zuflucht.«
»Wir kommen mittels der Ziegen hinein?«, fragte Tyler verdutzt. »Du willst mich auf den Arm nehmen!«
Ich kicherte. »Das ist geradezu genial. Ich wette, es gibt unter den Ziegen einen Torwächter. Die Herde da oben ist sicher zwanzig Tiere oder mehr stark.« Tyler wartete nicht auf mehr Erklärungen und begann mit dem Aufstieg.
Ich zuckte mit den Schultern und folgte meinem Bruder zu dem aufgeflogenen Täuschungsmanöver in Ziegenform.
»Sie greifen uns gleich an, wenn wir oben ankommen, das steht mal fest, und glaubt ja nicht, das wäre nicht so!«, brummte Danny, der gleich hinter mir war. »Hoffentlich sind das weder Zombie-Ziegen noch Werziegen. Gibt es so was wie Werziegen?«
»Werziegen? Ne, davon habe ich noch nie gehört«, rief Tyler von oben zu ihm hinunter. »Aber das heißt nicht viel. Ich hatte auch keine Ahnung, dass es Werwiesel gibt, bis dich eines angefallen hat.«
»Das war der Hammer, ja. Bösartiges Kerlchen«, erwiderte Danny. »Ich hoffe, die Göttin unseres Misstrauens hat nicht einen ganzen Stall davon, die alle nach ihrer Pfeife tanzen. Die Zähnchen von den Biestern haben Ähnlichkeit mit Glasscherben.«
»Mannomann, Werwölfe sind verdammt noch mal zu ichbezogen!«, beklagte ich mich. »Ihr Jungs solltet hin und wieder der Welt um euch herum ein bisschen Aufmerksamkeit schenken. Dann würdet ihr euch verteufelt besser in allem auskennen und wärt auf die Kämpfe, in die ihr so quasi hineinstolpert, wesentlich besser vorbereitet.«
»Niemand ist stärker als wir«, verkündete Tyler von seinem Standpunkt fünf, sechs Meter über mir. »Nicht einmal deine Katze . Es gibt keinen Grund, sich um das zu kümmern, was am unteren Ende der Nahrungskette so alles kreucht und fleucht. Das wäre ja, als ob ein Hai sich Sorgen wegen irgendeines kleinen Fischs machen würde, lächerlich!«
Ich schnaubte. »Jep, das ist so lange
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