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Halloween

Halloween

Titel: Halloween Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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sich auf die Bettkante setzen, um die Socken auszuziehen. Sie wendet sich ab, denn er zeigt keine Scham. Früher war er genanter, schloss die Badezimmertür ab und bedeckte sich mit einem Handtuch.
    (Wie sieht’s da aus?, fragt Toe.
    Sei nicht so derb, sagt Danielle. Mein Gott, du bist echt herzlos, weißt du das?
    Immer noch besser als kopflos.
    Ich bin nicht kopflos, sagt Danielle.
    Genau genommen fehlt ein Stück von deinem Kopf, stimmt’s?
    Deinetwegen. Vergiss es. Ihr könnt hier bleiben, ich seh nach, was Tim vorhat.
    Viel Glück, sagt Toe, aber als sie weg ist, verstummt er. Seine Witzeleien sind leicht zu durchschauen. Seit dem achten Schuljahr war er in sie verknallt, und jetzt ist sie das einzige Mädchen, das er zu Gesicht kriegt. Ich versuche mich da rauszuhalten, denn sie ist mit Tim zusammen und nicht gerade der einfachste Mensch auf der Welt, aber ich bin nicht blind, manchmal hab auch ich Hirngespinste gehabt. Wer kommt schon ohne Liebe aus?)
    Kyle zieht seine Schlafanzughose an, ein Bein nach dem anderen, und dazwischen fällt er rückwärts aufs Bett. Die Knöpfe an der Jacke sind größer, ein Grund, warum Kyles Mom sie gekauft hat.
    «Okay», sagt sie und hebt ihm die Bettdecke hoch. Sie setzt sich auf die Bettkante und stellt den Wecker auf seinem Nachttisch so ein, dass er eine halbe Stunde nach ihrem klingelt. Sie ist der letzte Mensch, den Kyle in der Nacht sieht, und der erste am Morgen.
    «Träum was Schönes», sagt sie, küsst ihre Fingerspitzen und drückt sie auf seine raue Stirn.
    «Träum was Schönes», erwidert Kyle.
    Von der Tür aus blickt sie ein letztes Mal zurück, bevor sie das Licht ausschaltet. Seine Augen sind weit aufgerissen. «Schlaf jetzt», sagt sie, und er schließt die Augen.
    Sie lässt das grüne Nachtlicht im Bad an – verdoppelt im Spiegel und dann, als sie geht, verdunkelt. Kyles Dad schläft auf der anderen Seite des Bettes. (Und plötzlich hasst sie ihn – Mr. Sorensen –, der so tut, als würde ihn all das nichts angehen, sein Leben im Büro eine Insel.) Kyles Mom schließt die Tür, hängt den Morgenrock an den Haken und gleitet ins Bett. Sie liegt da, schaut an die Decke und wartet darauf, dass ihr warm wird, dass der Schlaf kommt – genau wie Kyle, denkt sie.
    Was träumt er? Was wird aus ihm? Sie ist dankbar, dass er am Leben ist (sie findet, dass sie im Vergleich zu unseren Eltern Glück gehabt hat), aber tiefer kann sie nicht gehen, denn sie weiß nicht, was sie dort finden wird.
    Wie jede Nacht ist sie hellwach.
    (Gut gemacht, Kyles Mom. Ganz ausgezeichnet.)
     
    Die Kutschenlampe im Garten brennt – seine Mom –, und Tim überlegt, nicht zu bremsen, nicht in die Einfahrt zu biegen, als wäre es das Haus von jemand anderem, als würde er spätnachtszufällig durch Avon kommen und sich die Familie vorstellen, die in diesem kleinen zweistöckigen Haus schläft, das so vielen anderen in dieser Straße gleicht – die dunklen Flure und Schlafzimmer, die Sturmfenster heruntergelassen gegen die Kälte, der Heizkessel, der im Keller seine geduldige blaue Flamme hütet, das Puppenhaus und die avocadogrünen Koffer und die Kartons mit den alten Fotoalben, die alle an der gegenüberliegenden Wand stehen, ihre alte Geschichte
    (In den Alben gibt es Bilder von uns, zumindest von Toe und mir, wie wir Cremetorte essen und aus gewachsten Pappbechern Hawaiian Punch schlürfen, mit Brandon und Justin und Holden, bevor er nach Texas zog, und mit John Bunnell und Ryan, bis wir mit der Mittelschule fertig waren und die Partys aufhörten. Die Bilder von Danielle sind in Tims Zimmer, in der untersten Schublade seines Schreibtischs, in dem großen braunen Umschlag mit ihren Briefen. Sein Lieblingsfoto von ihnen beiden stammt vom Ausflug mit dem Skiclub nach Okemo. Sie sitzt im Bus mit den in den Sitzen eingelassenen Fernsehern auf seinem Schoß; er hat das Gesicht in ihrem Nacken vergraben, und durch die Art, wie sie das Kinn gedreht hat, sieht sie aus, wie er sie in Erinnerung hat, diese gerade Linie im Profil. Er wird den Schnappschuss rausholen und direkt unter seine Schreibtischlampe legen, er wird dasitzen und versuchen, ihre Gedanken zu lesen, sich daran zu erinnern, worüber sie geredet haben. Und wenn es dann fast so weit ist, wenn er schon den Erdbeerduft ihres Lip-Gloss riecht, ist er plötzlich wieder auf dem Rücksitz gefangen, brüllt lauter als die blöde Musik, und sie ist verschwunden.)
    Er könnte einfach vorbeifahren, immer weiter, bis die Tanknadel

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