Halo - Tochter der Freiheit
wenn man ihm ein kühlendes Tuch über die Stirn legt. Ich kann ihr Leiden ein wenig erträglicher machen, ich kann die Krankheit beobachten und meine Beobachtungen aufschreiben, kann daraus Folgerungen ziehen … oder nicht?« Sie sah ihn bittend an.
»Ich werde dich nicht davon abhalten«, sagte er.
Und so geschah es. Doch bevor sie ihre ersten Krankenbesuche machte, lief sie zum Lager der Skythen und schrie schon im Hof: »He, Arimaspou! Ich bin vor der Pest sicher! Ich hatte sie und kann sie nicht noch mal bekommen – jagst du mich wieder davon, oder darf ich reinkommen?«
Und Arimaspou kam heraus und umarmte sie. Natürlich wich sie erschrocken zurück – niemand durfte sie umarmen. Das war viel zu riskant, denn sie hatte nun mal einen Mädchenkörper. Trotzdem freute sie sich, dass Arimaspou sie so herzlich begrüßte.
Als Halo und Arko an diesem Abend nach Hause gingen, rochen sie überall den Rauch der Leichenverbrennungen. Halo atmete so flach wie möglich, fast immer durch den Mund, wodurch sie häufig schlucken musste. Es roch nach gebratenem Fleisch – aber es war kein Geruch, den sie in der Nase haben wollte.
Sie überquerten gerade die Agora, als sie einen Mann schreien hörten: »Wer hat uns den Krieg eingebrockt? Wer wollte nicht auf das Orakel von Delphi hören? Perikles! Wer ließ zu, dass die Spartaner unser Land verwüsten und die Bauernhöfe niederbrennen konnten? Perikles! Wer hat die gesamte Landbevölkerung in die Stadt gelassen, wo kein Platz für sie ist? Perikles! Wer hat geduldet, dass sie ihre Lager einfach am Fuß der Akropolis aufschlugen und damit Apollons Zorn auf uns herab beschworen? Und das Orakel weissagte doch, dass wir nicht siegen würden! Und wie hätten wir auch siegen können, wenn uns dieser Mann nicht einmal richtig kämpfen lässt, sondern uns hinter den Mauern einschließt wie Jungfrauen? Und wie sollen wir jetzt überhaupt noch kämpfen, wo wir doch alle sterben und sogar auf der Straße tot umfallen? Ihr alle wisst, wer schuld daran ist …«
Um den Mann hatte sich eine Männergruppe versammelt, alle nickten zustimmend. Halo warf Arko einen Blick zu; es wurde rasch dunkel, und sie beeilten sich, nach Hause zu kommen.
An einer Ecke rief ihnen ein zerlumpter Mann zu: »Hilft gegen die Pest! Das Beste, was es gibt! Zaubermedizin aus Persien, es ist nicht billig, aber es wirkt – und was ist euch das Leben wert?«
Es war der Mann, der Kaninchenfüße verkaufte. Sie hatten ihn schon öfter gesehen.
Er legte die Hand auf Halos Arm, um sie aufzuhalten. Wütend zischte sie ihn an: »Schäm dich!«
»Warum denn? Ich verkaufe doch nur ein bisschen Hoffnung«, sagte der Mann beleidigt.
»Nein – du nützt die Not und das Elend der Leute aus!«, fauchte Halo verächtlich und ging weiter.
»Reg dich nicht auf, Süße!«, schrie der Mann hinter ihr her. »Kauf dir lieber ein nettes Kleidchen!«
Halo blieb wie angewurzelt stehen.
Er hielt sie tatsächlich für ein Mädchen.
»Musste doch irgendwann passieren«, murmelte Arko trocken.
»Ich weiß, aber …«
»Du musst es endlich Perikles sagen«, drängte er. »Bisher hattest du unverschämt viel Glück, dass es noch niemand bemerkt hat.«
Das hatte Arko seit Monaten nicht gesagt. Halo fluchte.
Zu Hause herrschte Streit. Aspasia hatte sich in ihrem Zimmer eingeschlossen; man hörte sie weinen. Perikles lief vor ihrer Tür hin und her. Tiki und Samis waren nirgends zu sehen. Perikles warf Halo und Arko nur einen Blick zu, der genügte, um sie sofort ebenfalls in ihr Zimmer zu treiben. Trotzdem ließ es sich nicht vermeiden, dass sie hörten, wie Perikles Aspasia zu überreden versuchte, die Tür zu öffnen.
»Meine Liebe«, rief er leise.
Halo fand es peinlich, dass sie etwas hören musste, das nicht für ihre Ohren bestimmt war. Arko blickte verlegen auf seine Hände und tat so, als sei er plötzlich völlig taub geworden.
»Meine Liebe, mein Sohn Xanthippus ist wütend auf mich, weil ich mich weigere, seine Schulden zu bezahlen. Deshalb erzählt er überall diese Lügen über mich. Das weißt du doch! Er nennt mich geizig, nur weil ich nicht will, dass er das Geld verschwendet …«
»Das ist nicht alles, was er behauptet!«, rief Aspasia wütend zurück.
Halo zuckte zusammen. Sie mochte Aspasia sehr, und es traf sie ins Herz, dass sie so verletzt klang.
»Ich weiß, was man sich erzählt. Ich weiß, dass er behauptet, ich würde meine Zeit nur mit Philosophieren vergeuden, während ich doch
Weitere Kostenlose Bücher