Halo - Tochter der Freiheit
eigentlich das Heer in den Kampf führen sollte. Aspasia, das wirst du doch nicht glauben …«
»Natürlich glaube ich es nicht!«, rief sie. »Darum geht es doch gar nicht! Ich bin wütend, weil du dieses Gerede einfach hinnimmst! Du wirst für alles verantwortlich gemacht, man verleumdet dich, und das hasse ich! Es geht nicht nur um dich – wer soll Athen führen, wenn man dich verbannt? Was wird aus uns, wenn du nicht mehr hier bist? Dann werden sie einen Narren wie Kleon wählen, und was wird dann? Sie haben schon Boten nach Sparta geschickt, um Frieden zu erbetteln …«
»Meine Liebe, sie werden mich nicht absetzen und Kleon als Führer wählen …«
»Jetzt ist alles möglich«, antwortete sie mit müder Stimme. »Athen wird von Angst und Panik und dem Tod beherrscht, und alle suchen nach einem Schuldigen. Alles kann jetzt geschehen.«
Oh, ihr Götter, stöhnte Halo in Gedanken. In den paar Wochen, die ich krank war, hat sich die Welt völlig verändert …
Am nächsten Tag trat Perikles vor die Athener und hielt eine Rede. Halo ging zur Versammlung, um ihm zuzuhören. Er erklärte, er verstehe ihre Wut. Schlimmes sei geschehen, aber da sei es umso wichtiger, sich an gut durchdachte Pläne zu halten und nicht in Panik zu verfallen. Sie hätten doch von vornherein gewusst, dass sie leiden müssten, und sie seien stärker, als ihnen selbst bewusst sei. Athen sei der am meisten geachtete Name der Welt, weil es nie aufgegeben habe, wie schlimm die Dinge auch standen. Perikles zeigte sich voller Kraft und Entschlossenheit, und Halo war stolz auf ihn und auf die Stadt.
Ein paar Tage später sagte er nach dem Abendessen: »Sie wollen mich anklagen. Ich soll abdanken und eine Strafe zahlen.«
»Warum denn das?«, fragte Halo entsetzt.
»Weil ich kein Übermensch bin, glaube ich. Weil ich nicht alles wieder in Ordnung bringen kann. Aber weißt du was?«
Sie schüttelte nur stumm den Kopf.
»Das ist das geringste meiner Probleme.«
Er sah entsetzlich müde aus. Später brachte sie ihm einen Becher Wein und legte ihm den Arm um die Schultern.
»Ich bin froh, dass du nicht gestorben bist«, sagte er und schaute sie mit einem zaghaften Lächeln an. »Mein Ziehsohn.«
Als er das sagte und sie ansah, als sei sie sein einziger Trost in einer bösen Welt, zuckte Halo schuldbewusst zusammen.
Sie musste es ihm sagen.
Sie fühlte sich so elend, als müsse sie sich auf der Stelle übergeben. Sie erstickte fast an ihren Worten.
Sag es endlich.
Ein Kribbeln der Angst in den Armen.
»Ich bin ein Mädchen«, flüsterte sie.
Er verstand sie nicht. Hörte überhaupt nicht zu.
»Onkel … ich bin ein Mädchen«, wiederholte sie.
Jetzt starrte er sie an. Sein Gesicht war ausdruckslos.
»Ich bin ein Mädchen. Eine … wie eine Amazone. Ich musste so tun, als sei ich ein Junge. Musste mich verkleiden. Ich wollte dich nicht belügen.«
»Was für ein Unfug …«, begann er.
»Ich bin ein Mädchen«, beharrte sie und kniete vor ihm nieder. Was immer er jetzt sagte oder tat, sie würde es hinnehmen müssen.
Lange Zeit sagte er nichts, er starrte sie nur an. Sie gab sich Mühe, ihm alles zu erklären, stolperte über ihre eigenen Worte. Aber sie wusste nicht, ob er wirklich verstand, was sie ihm klarmachen wollte.
Da kam Aspasia leise herein. Halo hörte das Rascheln ihres Gewands hinter sich.
Perikles fragte sie: »Hast du das gewusst?«
Sie senkte den Kopf.
»So ist das also. In meinem eigenen Haus werde ich zum Narren gemacht. Ich verliere zum zweiten Mal einen Sohn. Ist das die einzige Lüge? Oder ist auch alles andere gelogen? Bist du überhaupt Megakles’ Kind?«
»Ja!«, schrie sie. »Es tut mir leid! Ich verdiene alles, was du sagst. Aber ich bin sein Kind. Jedenfalls sagte das die Pythia.«
»Ein Mädchen«, knurrte er und stand abrupt auf. »Na, Aspasia, dann gib ihr Weiberkleider zu tragen. Soll sie doch lernen, was Mädchen eben lernen müssen. Sag der Schule … ach, sag ihnen, was du willst. Mein Sohn ist tot. Hier im Haus kannst du verkünden, dass jetzt eine Verwandte bei uns wohnt. Aber sorge dafür, dass sie mir nie mehr unter die Augen kommt. Such einen Mann für sie. Wenn irgendeiner sie überhaupt haben will.«
»Aber Herr«, sagte Halo.
»Aber was?« Perikles drehte sich wütend zu ihr um.
»Meine Ausbildung. Dass ich bei Hippias lerne …«
»Wie – bist du denn nicht nur ein Mädchen, sondern auch noch verrückt? Du lernst nähen und still in der Ecke sitzen!«
»Ich kann schon
Weitere Kostenlose Bücher