Halo
für diese eine Nacht wollte ich mich wirklich so fühlen wie ein Engel auf Erden und auch so aussehen.
Ich war nervös, als wir die High Street zum Bahnhof hinunterliefen. Meine erste Begegnung mit öffentlichen Verkehrsmitteln stand bevor. Ich freute mich darauf, war aber auch ein bisschen besorgt. Als wir am Bahnhof ankamen, folgte ich den anderen durch eine Unterführung und auf einen altmodischen Bahnsteig. Wir stellten uns am Schalter an und kauften bei einem unfreundlichen Mann mit Backenbart hinter einer Scheibe die Fahrkarten. Er schüttelte über den Lärm, den wir machten, den Kopf, und ich schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln, als ich meine Fahrkarte sorgsam in meinen Geldbeutel steckte.
Wir setzten uns auf die Holzbänke, die den Bahnsteig herunter aufgereiht standen, und warteten auf den Expresszug um Viertel nach vier. Die Mädchen redeten alle durcheinander und tippten in Lichtgeschwindigkeit SMS , in denen sie Verabredungen mit Jungen aus der Saint Dominic’s School in Port Circe trafen. Molly verkündete, dass sie Durst hatte, und kaufte sich eine Diätlimonade am Automaten. Ich war entspannt und fühlte mich gut – bis zur Ankunft des Zuges. Er versetzte mir einen Schock.
Es begann mit nichts weiter als einem fernen Dröhnen, wie nahender Donner. Aber das Geräusch schwoll an, und bald schon vibrierte der Bahnsteig unter meinen Füßen. Wie aus dem Nichts raste der Zug die Gleise hinunter, so schnell, dass ich mich fragte, ob der Lokführer noch anhalten konnte. Ich sprang auf und presste mich mit dem Rücken an die Wand des Wartehäuschens, als die Wagen, die nicht besonders sicher aussahen, lautstark zum Halten kamen. Die Mädchen starrten mich an.
«Was tust du denn da?», fragte Taylah und sah sich befangen um, um sicherzustellen, dass niemand meinen Auftritt mitbekommen hatte.
Ich betrachtete den Zug misstrauisch. «Ist es in Ordnung, dass der so laut ist?»
Die metallenen Türen öffneten sich und spuckten einen Schwall von Menschen aus. Ich sah, dass sich eine Tür schloss und den Mantelsaum eines Mannes einklemmte, und rang nach Luft. Die Mädchen brachen in Gelächter aus. Der Mann klopfte wütend gegen die Zugtür, bis sie wieder aufging. Er stolzierte davon und warf uns im Vorbeigehen einen verärgerten Blick zu.
«Ach, Beth», keuchte Molly und hielt sich den Bauch vor Lachen. «Man könnte meinen, du hast noch nie einen Zug gesehen.»
Die massive Reihe miteinander verbundener Metallkisten sah für mich eher wie eine Massenvernichtungswaffe aus als wie ein vertrauenswürdiges Transportmittel.
«Er sieht überhaupt nicht sicher aus», sagte ich.
«Jetzt stell dich mal nicht so babyhaft an!» Molly packte mich am Handgelenk und zog mich zu einer der geöffneten Türen. «Wir verpassen noch den Zug!»
Im Zug war es gar nicht einmal so schlimm. Molly und ihre Freundinnen warfen sich auf die freien Sitzplätze und ignorierten die Blicke der Fahrgäste, in deren Sphäre sie eingedrungen waren. Während wir in Richtung Port Circe ratterten, saß ich auf der Kante von meinem Sitz und beobachtete die Leute um mich herum. Ich war überrascht, wie groß das Spektrum der Menschen war, die von Massenverkehrsmitteln angelockt wurden: von leitenden Angestellten im Anzug zu verschwitzten Schulkindern bis zu einer alten Stadtstreicherin mit pelzgefütterten Mokassins. Es behagte mir nicht, von all diesen Leuten umgeben zu sein und bei jedem Halt beinahe vom Sitz geworfen zu werden, aber ich sagte mir selbst, dass ich für jede menschliche Erfahrung, die ich machen konnte, dankbar sein sollte. Es würde schon bald wieder vorbeigehen.
Als wir unser Ziel erreicht hatten, schlossen wir uns der Menschenmenge an, die sich vom Bahnhof zum Zentrum von Port Circe bewegte. Das war natürlich etwas ganz anderes als das verschlafene Venus Cove. Die Straßen waren breit, rechtwinklig und von Bäumen gesäumt. Kirchtürme und Hochhäuser zeichneten sich am Horizont ab. Molly bestand darauf, dass wir uns über die stark befahrenen Straßen schlängelten, statt Zeit damit zu verschwenden, die Zebrastreifen zu suchen. Überall kauften Leute ein. Wir liefen an einem obdachlosen Mann mit weißem Bart vorbei, der auf den Stufen der Kathedrale saß. Die Falten um seine schwermütigen Augen waren die reinsten Furchen. Er hatte sich eine graue Militärdecke um die Schultern gewickelt und hielt die Hand auf. Ich suchte in meiner Tasche nach Kleingeld, aber Molly hielt mich davon ab.
«Du kannst Fremden wie
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