Halo
Der Tod ist Scheiße» in die Tischplatte geritzt. Ich wollte Jake nicht ansehen, ich war schockiert von dem, was ich gesehen hatte, auch wenn ich wusste, dass ich dazu kein Recht hatte. Jake war achtzehn, er konnte sich heranmachen, an wen er wollte. Aber Miss Castle war eine Lehrerin, sie hatte sicher mehr Respekt verdient. Ich schüttelte heftig den Kopf. Es ging mich absolut nichts an.
Ich hätte wissen müssen, dass es mir nicht gelingen würde, ihn zu ignorieren. Er setzte sich auf den Platz neben mir.
«Hallo», sagte er mit samtweicher Stimme. Seine Augen waren noch anziehender als seine Stimme. Es war schwer wegzusehen.
Auf der Bryce Hamilton hatte sich manches verändert. Es war schwer, genau in Worte zu fassen, was sich verändert hatte oder wann, aber die Schule fühlte sich anders an. Aus den Einzelgängern, die wir bei unserer Ankunft angetroffen hatten, war eine Gemeinschaft geworden. Das Engagement bei Schulaktivitäten war noch nie so groß gewesen, und wenn man die Poster betrachtete, die an den Wänden hingen, gab es auch ein neues Bewusstsein für globale Probleme. Ich konnte mir die Verbesserung nicht als Verdienst anrechnen, ich war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, mich einzuleben und Xavier kennenzulernen, und hatte nicht allzu viele Gedanken an etwas anderes verschwendet. Ich wusste, dass die Veränderungen ausschließlich auf den Einfluss von Gabriel und Ivy zurückzuführen waren.
Von Anfang an hatten die Leute Ivys Bereitschaft, anderen zu helfen, erkannt. Auch wenn sie eigentlich nichts mit der Schule zu tun hatte, suchte sie dort Unterstützung für die verschiedensten Aktionen – von Tierschutz bis Umweltaktionen. Sie warb dafür in ihrer gewöhnlichen leisen Art – sie brauchte nicht laut zu werden, um ihre Ansicht zu vertreten. Auf den Versammlungen der Bryce Hamilton informierte sie die Schüler über anstehende Spenden-Rallyes oder Benefizveranstaltungen. Egal ob eine Kuchenback- oder Autowaschaktion bevorstand oder die «Miss Venus Cove» gekürt wurde – wenn damit Geld für einen guten Zweck gesammelt wurde, steckte meistens Ivy dahinter. Sie schien ein komplettes Sozialfürsorgeprogramm für die Stadt auf die Beine gestellt zu haben, und eine kleine, aber wachsende Zahl an Freiwilligen hatte sich bereiterklärt, mittwochnachmittags mitzuhelfen. Die Schule hatte sogar ein Freiwilligenprogramm als Alternative zum Sport am Nachmittag gestartet. Dazu gehörte es, bei örtlichen Wohltätigkeitsgruppen mitzuhelfen, für ältere Menschen einzukaufen oder in der Suppenküche in Port Circe mitzuarbeiten. Zugegebenermaßen heuchelten manche Leute ihr Interesse nur, um eine Ausrede zu haben, Ivy näherzukommen, aber die meisten waren wirklich von ihrem Einsatz angesteckt worden.
Da es aber nur noch zwei Wochen bis zum Abschlussball waren, wurden alle sozialen Projekte vorübergehend ausgesetzt. Die Stimmung der Mädchen in der Schule grenzte an Hysterie. Es war schwer zu glauben, dass die Zeit so schnell vergangen war. Es schien erst gestern gewesen zu sein, dass Molly mir den Tag im Kalender eingekreist hatte und mich für meine mangelnde Begeisterung gescholten hatte. Zu meiner eigenen Überraschung konnte ich den großen Tag jetzt genauso wenig erwarten wie alle anderen. Ich klatschte und quietschte wie der Rest der Mädchen, wann immer das Thema aufkam, und es war mir egal, wie kindisch das wirkte.
Am Freitag traf ich mich mit Molly und den anderen Mädchen vor der Schule für unseren langgeplanten Shopping-Trip nach Port Circe. Port Circe war eine große Stadt, nur eine halbe Zugstunde entfernt Richtung Süden. Sie hatte zweihunderttausend Einwohner und war damit deutlich größer als Venus Cove, und viele der Menschen aus unserem verschlafenen Städtchen pendelten täglich zur Arbeit dorthin, während die Teenager in die Stadt fuhren, um einzukaufen oder heimlich mit gefälschten Ausweisen in die Clubs zu gehen.
Gabriel hatte mir eine Kreditkarte überreicht, zusammen mit der Ermahnung, vernünftig zu sein und nicht zu vergessen, wie unbedeutend materielle Güter waren. Er wusste, wie gefährlich es war, eine Horde von Mädchen im Teenageralter mit einer Kreditkarte loszuschicken. Aber er hatte keinen Grund, besorgt zu sein: Die Chance, dass ich etwas fand, was mir gefiel, war sehr gering. Was Klamotten betraf, war ich sehr eigen, und ich hatte ein sehr genaues Bild davon, wie ich am Tag des Abschlussballs aussehen wollte. Mein Anspruch war ziemlich hoch. Nur
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