Halo
zuschob.
Ich schenkte ihm einen dankbaren Blick und begann den Absatz mühelos vorzulesen, obwohl ich Französisch noch nie gelesen oder gesprochen hatte. So war das mit uns – alles, was wir versuchten, beherrschten wir sofort meisterhaft. Als ich fertig war, stand Mr. Collins neben meinem Tisch. Ich hatte den Text fließend vorgelesen – zu fließend. Mir wurde klar, dass es besser gewesen wäre, ein paar Wörter falsch auszusprechen oder mich zumindest ein- oder zweimal zu versprechen, aber der Gedanke war mir vorher nicht gekommen. Vielleicht wollte ein Teil von mir vor Xavier Woods angeben, um meine Ungeschicklichkeit von vorhin zu überspielen.
«Sie sprechen so fließend wie eine Muttersprachlerin, Miss Church. Haben Sie in Frankreich gelebt?»
«Nein.»
«Aber Sie sind dort gewesen?»
«Leider nicht.»
Ich versuchte, einen Blick auf Xavier zu erhaschen, dessen hochgezogene Augenbrauen zeigten, wie beeindruckt er war.
«Dann sind Sie wohl ein Naturtalent. Sie sollten lieber einen Kurs für Fortgeschrittene belegen», schlug Mr. Collins vor.
«Nein!», entfuhr es mir. Ich wollte nicht noch mehr Aufmerksamkeit erwecken und hoffte, dass Mr. Collins das Thema bald fallenließ. Ich schwor mir, beim nächsten Mal weniger perfekt zu sein. «Ich habe noch viel zu lernen», versicherte ich ihm. «Aussprache ist meine starke Seite, aber von Grammatik habe ich überhaupt keine Ahnung.»
Mr. Collins war zufrieden mit meiner Erklärung. «Woods, machen Sie dort weiter, wo Miss Church geendet hat», sagte er, warf dann einen Blick auf Xavier und schürzte die Lippen. «Wo ist Ihr Buch, Woods?»
Ich gab ihm schnell das Buch zurück, aber Xavier nahm es nicht.
«Tut mir leid, aber ich habe meine Bücher heute vergessen, gestern ist es spät geworden. Danke, dass du mir deins leihst, Beth.»
Ich wollte protestieren, aber Xaviers warnender Blick brachte mich zum Schweigen. Mr. Collins starrte ihn an, kritzelte etwas in sein Notizbuch und murmelte den ganzen Weg bis nach vorne zu seinem Pult etwas vor sich hin.
«Als Schulsprecher gehen Sie nicht gerade mit gutem Beispiel voran. Wir sprechen uns nach dem Unterricht.»
Als die Stunde vorbei war, wartete ich draußen darauf, dass Xavier und Mr. Collins ihr Gespräch beendeten. Ich hatte das Gefühl, ihm mindestens ein Dankeschön dafür zu schulden, dass er mich vor der Peinlichkeit bewahrt hatte.
Als sich die Tür öffnete, schlenderte Xavier so lässig nach draußen, als machte er einen Strandspaziergang. Er sah mich an und lächelte, erfreut, dass ich auf ihn gewartet hatte. Ich war mit Molly in der Pause verabredet, aber der Gedanke durchzuckte mich nur kurz und war auch schon wieder verschwunden. Bei Xaviers Anblick konnte ich sogar das Atmen vergessen.
«Gern geschehen, es war keine große Sache», sagte er, bevor ich auch nur den Mund aufmachen konnte.
«Woher wusstest du, was ich sagen wollte?», fragte ich gereizt. «Was, wenn ich dich dafür beschimpfen wollte, dass du dich selbst in Schwierigkeiten gebracht hast?»
Er schaute mich irritiert an. «Bist du sauer?», fragte er. Da war es wieder, dieses halbe Lächeln, das seine Lippen umspielte, als überlegte er noch, ob die Situation ein Lächeln wert war.
Zwei Mädchen liefen vorbei und erdolchten mich schier mit ihren Blicken. Das größere von ihnen winkte Xavier zu.
«Hallo, Xavier», sagte sie mit zuckersüßer Stimme.
«Hallo, Lana», antwortete er freundlich, aber gleichgültig.
Es war offensichtlich, dass er kein Interesse daran hatte, mit ihr zu reden. Lana schien das aber nicht zu bemerken.
«Wie ist der Mathetest bei dir gelaufen?», fragte sie. «Ich fand ihn soooooooo schwer. Ich glaube, ich brauche Nachhilfe.»
Xaviers gelangweilter Blick war nicht zu übersehen – leer, als starrte er auf einen Computerbildschirm. Lana plauderte weiter und drehte sich so, dass ihre üppige Oberweite gut zur Geltung kam. Jeder andere Junge hätte sie sicher begeistert gemustert, aber Xaviers Blick ruhte weiterhin auf ihrem Gesicht.
«Ich glaube, ich bin ganz gut klargekommen», sagte er. «Marcus Mitchell gibt Nachhilfe, du solltest ihn fragen, wenn du wirklich glaubst, dass du es nötig hast.» Lanas Augen verengten sich verärgert, weil sie so viel investiert und so wenig erreicht hatte.
«Danke», sagte sie schnippisch, bevor sie davonrauschte.
Xavier schien nicht zu bemerken, dass er sie beleidigt hatte, und wenn doch, dann war es ihm egal. Mit einem ganz anderen Gesichtsausdruck
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