Hals über Kopf: 9. Fall mit Tempe Brennan
in Orange getaucht. Eine Brise klatschte Palmwedel gegen die Balkonbrüstung. Die Uhr zeigte zehn nach acht.
Ich ging ins Bad und restaurierte meinen Haarknoten. Während ich döste, hatte mein Pony beschlossen, sich aufzustellen. Ich machte die Fransen nass, nahm eine Bürste und fing an, sie zu föhnen. Nach der Hälfte hörte ich auf. Warum eigentlich? Und warum hatte ich zuvor Make-up aufgelegt? Ich warf die Bürste auf die Ablage und lief nach unten.
Annes Haus ist durch einen langen Holzsteg mit dem Strand verbunden. Der Steg führt relativ steil über die Dünen, und an seinem höchsten Punkt befindet sich auf einem hölzernen Podest ein Pavillon. Pete saß dort, trank Wein und ließ sich von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne die Haare wärmen. Katys Haare. Das genetische Echo war so stark, dass ich nie den einen anschauen konnte, ohne an die andere zu denken. Und andersherum natürlich genauso.
Da ich barfuß war, hörte Pete mich nicht kommen.
Er hatte ein Tischtuch gefunden, silberne Kerzenhalter, eine kleine Vase und einen Eiskübel. Zwei Plätze waren eingedeckt, der Kühlbehälter stand auf dem Boden des Pavillons.
Ich blieb stehen, jäh gebremst von einem unerwarteten Gefühl des Verlusts.
Ich bin keine Anhängerin der Theorie, dass es nur einen einzigen Seelenverwandten gibt, aber als Pete und ich uns kennen lernten, war die gegenseitige Anziehungskraft wie eine Kernfusion gewesen. Die Schmetterlinge im Bauch, wenn unsere Arme sich auch nur berührten. Das Herzklopfen, wenn ich sein Gesicht in einer Menge entdeckte. Gleich von Anfang an wusste ich, dass Pete der Mann war, den ich heiraten wollte.
Jetzt schaute ich mir sein Gesicht an: Es war furchig und gebräunt, die Stirn wurde langsam etwas höher. Mehr als zwanzig Jahre lang war ich neben diesem Gesicht aufgewacht. Diese Augen hatten ehrfurchtsvoll zugesehen, als meine Tochter geboren wurde. Unzählige Male hatten meine Finger über diese Haut gestrichen. Ich kannte jede Pore, jeden Muskel, jeden Knochen.
Jede Ausrede, die diese Lippen fabriziert hatten.
Jedes Mal hatte die Wahrheit mir das Herz zerrissen.
Nein. Aus und vorbei.
»Hi.«
Als Pete meine Stimme hörte, stand er auf und drehte sich um. »Ich dachte schon, du versetzt mich.«
»Tut mir Leid. Bin eingeschlafen.«
»Tisch am Fenster, Ma’am?«
Ich setzte mich. Pete legte sich ein Geschirrtuch über den Unterarm, holte eine Dose Diet Coke aus dem Eiskübel und präsentierte sie mir in der Handfläche zur Prüfung.
»Exzellenter Jahrgang«, sagte ich.
Pete goss ein und verteilte dann das Essen. Kalte, gewürzte Shrimps. Geräucherte Forelle. Hummersalat. Marinierter Spargel, Brie. Pumpernickelquadrate. Olivenpaste.
Ich bezweifle, ob mein mir entfremdeter Gatte in einer Welt ohne gutes Feinkostgeschäft überleben könnte.
Wir aßen und sahen zu, wie sich die Streifen von Sonnenlicht von Gelb zu Orange und schließlich zu Grau verfärbten. Das Meer war ruhig, die sanft an den Strand rollende Brandung eine Symphonie im Hintergrund. Hin und wieder schrie ein Seevogel, und ein anderer antwortete.
Zum Dessert gab es Limonenkuchen. Aus dem Grau wurde Schwarz.
Pete räumte den Tisch ab, dann legten wir beide die Füße aufs Geländer.
»Der Strand bekommt dir, Tempe. Du siehst gut aus.«
Pete sah ebenfalls gut aus, auf seine etwas zerknitterte, verstrubbelte Pete-Peterson-Art.
»Das ist kein Rendezvous, Pete.« Ich wiederholte meine Warnung von zuvor.
»Darf ich nicht einmal erwähnen, dass du gut aussiehst?« Die reinste Unschuld.
Gedämpfte, gelbe Lichter gingen in den Häusern am Strand an. Der Tag legte sich zur Ruhe.
Als Pete wieder sprach, klang seine Stimme tiefer.
»Woran ich mich nur schwer erinnern kann, ist, warum wir uns eigentlich getrennt haben.«
»Weil du einem verdammt auf die Nerven gehen kannst und spektakulär untreu bist.«
»Menschen ändern sich, Tempe.«
Alle Erwiderungen darauf kamen mir dumm vor, deshalb sagte ich gar nichts.
»Denkst du je daran –«
In diesem Augenblick klingelte mein Handy. Ich zog es aus der Tasche und drückte die Ein-Taste.
»Wie geht’s der schönsten Frau auf dem Planeten?« Ryan.
»Gut.« Ich stellte die Füße auf den Boden und drehte mich auf meinem Stuhl halb um.
»Viel zu tun gehabt?«
»So schlimm war’s nicht.«
»Schon was Neues über dein Skelett?«
»Nein.«
Pete goss sich Chardonnay nach und schwenkte ein zweites Coke in meine Richtung. Ich schüttelte den Kopf.
Anscheinend waren
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