Hals über Kopf: 9. Fall mit Tempe Brennan
gut«, flüsterte sie.
Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, mit ihr zu streiten. Ich löste ihre Finger vom Kopfbrett, bugsierte sie behutsam ins Bett zurück und zog ihr die Decke bis zur Taille.
»Ich habe zu viel zu tun«, widersetzte sie sich schwach.
»Du gehst nirgendwohin, bis ein Arzt dich entlässt«, sagte ich.
Sie verdrehte die Augen. Im Vergleich dazu war ich ein Anfänger.
Ich schaute meine Freundin an. Sie hatte weder Mann noch Kinder. Soweit ich wusste, auch keinen Liebhaber. Sie hatte einmal von einer Schwester gesprochen, mit der sie sich entzweit hatte, doch auch das war schon Jahre her. Soweit ich wusste, hatte Emma in ihrem Leben niemanden, der ihr nahe stand.
»Hast du Freunde, die nach dir sehen können?«
»Ganze Bataillone.« Emma schnippte ein nicht existentes Staubkörnchen von der Decke. »Ich bin nicht die ausgeflippte Einzelgängerin, für die du mich hältst.«
»Dafür halte ich dich ganz und gar nicht«, log ich.
In diesem Augenblick kam ein Assistenzarzt herein. Er hatte fettige schwarze Haare und sah aus, als wäre er seit Reagans Präsidentschaft auf den Beinen. Auf seinem Namensschild stand »Bliss«. Was für eine Name: »Glück«.
Vielleicht war das Schild aber auch eine Art sublimer Gruß: Ich wünsche Ihnen Glück.
Bliss überflog die Seiten von Emmas Krankenblatt.
»Sagen Sie ihr, dass Sie mich nicht als den heutigen Organspender betrachten«, sagte Emma.
Bliss schaute hoch. »Bei Ihnen ist alles in Ordnung.«
»Vor zwei Stunden war sie noch ohnmächtig«, widersprach ich.
»Die Behandlung, der sie sich gerade unterzieht, kann einen ganz schön schwächen.« Bliss wandte sich Emma zu. »Sie sollten im Augenblick keinen Marathon laufen, aber ansonsten können Sie gehen. Unter der Voraussetzung, dass Sie Ihren behandelnden Arzt konsultieren.«
Emma streckte mir den hochgereckten Daumen entgegen.
»Sie hat vor, sich sofort wieder an die Arbeit zu machen«, hielt ich dagegen.
»Das ist keine gute Idee«, sagte Bliss. »Gehen Sie nach Hause. Lassen Sie sich ein bisschen Zeit, um wieder zu Kräften zu kommen.«
»Es ist ja nicht so, dass ich als Stürmer bei den Carolina Panthers spiele«, sagte Emma.
»Was machen Sie denn?«, fragte er beiläufig, während er sich Notizen machte.
»Sie ist Coroner in diesem County«, sagte ich.
Bliss hörte auf zu schreiben und schaute Emma an. »Deshalb kam mir der Name so bekannt vor.«
Eine Schwester kam dazu. Bliss gab ihr den Auftrag, Emma von der Infusion zu befreien.
»Ihre Freundin hat Recht.« Bliss klappte die Seiten des Krankenblatts wieder zurück. »Nehmen Sie sich den Tag frei. Wenn Sie sich nicht ausruhen, könnte so was gleich noch mal passieren.«
Sekunden nach Bliss’ Abgang rief Emma bereits bei Gullet an. Der Sheriff war nicht da. Emma sagte, sie werde die NCIC-Formulare persönlich vorbeibringen.
Danach zog sie sich an und verließ das Zimmer. Ich ging hinter ihr her, fest entschlossen, sie zum Nachhausegehen zu überreden. Oder, sollte mir das nicht gelingen, bei ihr zu bleiben für den Fall, dass sie noch einmal zusammenklappte.
Gemeinsam verstauten wir Nummer CCCC-2006020277 wieder in seinem Leichensack und baten die Technikerin, ihn in den Kühlraum zurückzubringen. Dann räumten wir Röntgenaufnahmen und Unterlagen auf. In der ganzen Zeit versuchte ich, sie zur Bettruhe zu überreden.
Als wir das Krankenhaus verließen, umwaberte mich die Luft zäh wie warmer Honig. Emma rannte die Rampe hinunter, als wollte sie Distanz zwischen uns bringen.
Als ich sie eingeholt hatte, startete ich noch einen letzten Versuch.
»Emma.« Schärfer, als ich beabsichtig hatte. Ich war frustriert, und allmählich gingen mir die Argumente aus. »Wir haben fünfunddreißig Grad. Du bist erschöpft. Kein Fall ist so wichtig, dass er nicht bis morgen warten könnte.«
Emma schnaufte verärgert.
»Der Anruf eben kam von einer Ermittlerin aus meinem Team. Zwei Jungs haben heute Nachmittag im Wald eine Leiche gefunden.«
»Dann soll deine Ermittlerin sich darum kümmern.«
»Der Fall könnte heikel werden.«
»Jeder Todesfall ist heikel.«
»O Mann, Tempe. Ich habe ja erst zwei-, dreitausend Fälle bearbeitet, da ist mir das noch gar nicht aufgefallen.«
Ich schaute sie nur an.
»Tut mir Leid.« Emma strich sich die Haare aus der Stirn. »Vor ungefähr drei Monaten verschwand ein achtzehnjähriger Junge. Depressive Tendenzen, kein Geld; Pass und persönliche Habe sind verschwunden.«
»Die Polizei
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