Hals über Kopf: 9. Fall mit Tempe Brennan
vermutete Selbstmord?«
Emma nickte. »Es wurde allerdings nie ein Abschiedsbrief oder die Leiche gefunden. Meine Ermittlerin meint, das könnte er sein.«
»Soll sie sich um die Bergung kümmern.«
»Bei dem Fall gibt’s keine Fehlertoleranz. Daddy ist eine lokale politische Größe. Der Kerl ist wütend, nimmt kein Blatt vor den Mund und hat Beziehungen nach ganz oben. Das ist eine gefährliche Kombination.«
Ich fragte mich wieder einmal, ob die Auswirkungen dieses Vorfalls auf dem Kreuzfahrtschiff Emma mehr beeinflussten, als ich dachte.
»Wie kam deine Ermittlerin eigentlich darauf?«
»Die Überreste hängen an einem Baum. Der Baum ist weniger als drei Meilen von der letzten bekannten Adresse des Jungen entfernt.«
Ich stellte mir die Szene vor. Sie war mir allzu vertraut.
»Ist Daddy schon informiert?«
Emma schüttelte den Kopf.
Plan B.
»Wie wär’s damit?«, fragte ich. »Sag Daddy, dass das Verschwinden seines Sohnes höchste Priorität hat. Man habe eine Leiche gefunden, aber nach drei Monaten an der frischen Luft gestalte sich die Untersuchung etwas schwierig. Für die Identifikation sei ein externes Fachgutachten nötig.«
Wie immer verstand Emma sofort. »Das Büro des Coroners besteht dabei auf optimalen Ergebnissen, koste es, was es wolle.«
»Mir gefällt die Art, wie du denkst.«
Emma lächelte schwach. »Würdest du das wirklich tun?«
»Hast du die Befugnis, mir den Fall zu übertragen?«
»Ja.«
»Ich mach’s, wenn du versprichst, jetzt gleich ins Bett zu gehen.«
»Wie wär’s damit?« Emmas Gegenvorschlag. »Ich liefere die NCIC-Formulare beim Sheriff ab und bringe ihn dazu, dass er sich um das Dewees-Skelett kümmert. Du überwachst die Bergung meines hängenden Opfers. Wir bleiben telefonisch in Verbindung.«
»Nach deinem Nickerchen.«
»Ja, ja.«
»Klingt nach einem Plan.«
9
Hier nun in Kürze, was Emma wusste:
Matthew Summerfield IV. war ein Problemkind aus einer Familie, die keine Unvollkommenheiten tolerierte. Mutter Sally war eine geborene Middleton, von den Middletons, die damals den Präsidenten des First National Congress stellten. Daddy war Absolvent der Citadel-Militärakademie und regierender Monarch des Stadtrats von Charleston.
Matthew IV versuchte, in die Fußstapfen von Matthew III. zu treten, wurde aber bereits in seinem ersten Semester an der Militärakademie beim Grasrauchen erwischt und entlassen. Daddy, der meinte, nur mit Strenge etwas zu erreichen, warf den Sohn aus dem Familiensitz.
Matthew IV schlüpfte bei Freunden unter und verdiente sich ein bisschen was, indem er im Supermarkt Piggly Wiggly Reis und getrocknete Bohnen kaufte, sie als Dreizehn-Bohnen-Suppe und Hoppin’-John-Mix neu abpackte und an Touristen verscherbelte. Am achtundzwanzigsten Februar verließ Matthew IV. seinen Stand im Old City Market in der Nähe der Bay Street, ging zur Meeting Street und verschwand.
Emmas Angaben führten mich über den Wando River nördlich zum Francis Marion National Forest, einem gut zehntausend Hektar großen Dreieck bewaldeter Küstenebene, im Norden begrenzt vom Santee River, im Osten vom Intracoastal Waterway und im Westen vom Lake Moultrie. Obwohl die Flora heftig unter dem Hurrikan Hugo im Jahr neunundachtzig gelitten hatte, meldete sie sich inzwischen mit der Vitalität eines brasilianischen Dschungels zurück. Während der ganzen Fahrt zerbrach ich mir den Kopf, ob ich den Schauplatz überhaupt finden würde.
Die Sorge war unbegründet. Fahrzeuge säumten das Bankett. Polizeiautos mit blinkenden Lichtern. Ein Transporter des Coroners. Der Jeep eines Park-Rangers. Ein zerbeulter Chevy Nova. Zwei Geländewagen, deren Besitzer in T-Shirts und abgeschnittenen Jeans an den Bullenfängern lehnten, brennende Neugier in den Gesichtern. Man sah ihnen an, dass sie sich bereits in Gedanken zurechtlegten, wie sie die Geschichte erzählen würden.
Ich war froh, keine TV-Transporter zu sehen, aber bei dem Menschenauflauf hier würde das wohl nicht lange so bleiben.
Neben den Schaulustigen waren nur ein uniformierter Polizist und zwei schwarze Jungs zu sehen. Ich schnappte mir meinen Rucksack, stieg aus dem Auto und ging auf sie zu.
Die Jungs hatten rasierte Köpfe und sahen aus wie sechzehn. Beide trugen übergroße Basketball-Trikots und tief durchhängende Jeans. Nach dem, was Emma mir gesagt hatte, nahm ich an, dass die beiden die Glücklichen waren, die über die Leiche gestolpert waren.
Der Polizist war ein schmächtiger Mann mit
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