Hals über Kopf: 9. Fall mit Tempe Brennan
ambulanter Basis. Vincristin, Prednisolon, Doxorubicin und Cyclophosphamid. Meine größte Sorge sind Infektionen. Die zytotoxischen Medikamente machen mein Immunsystem kaputt. Eine ordentliche Staphylokokken-Infektion haut mich um.«
Ich wollte die Augen schließen, wollte, dass das alles nicht wahr war. Ich hielt sie offen.
»Du bist eine Xanthippe.« Gezwungenes Lächeln. »Du wirst schon wieder.«
»Am Samstag habe ich erfahren, dass ich nicht so gut darauf reagiere, wie meine Ärztin gehofft hatte.«
Der Anruf mit der schlechten Nachricht. War es das, was Emma mir vor dem Krankenhaus hatte erzählen wollen? War ich zu sehr mit dem Skelett beschäftig gewesen, um ihr zuzuhören? Hatte ich etwas getan, das ihr Vertrauen in mich schwächte?
»Hast du irgendjemand davon erzählt?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Das war am Samstag also keine Migräne?«
»Nein.«
»Du hättest offen mit mir reden sollen, Emma. Du kannst mir vertrauen.«
Emma zuckte die Achseln. »Du kannst mir auch nicht helfen. Warum solltest du dir auch noch den Kopf darüber zerbrechen?«
»Weiß dein Personal Bescheid?«
Emmas Augen blitzten auf. »Ich habe ein bisschen Gewicht und ein paar Haare verloren, aber meine Arbeit schaffe ich noch immer.«
»Natürlich.«
Ich streichelte Emmas Hand. Ich verstand meine Freundin. Aber nur zum Teil.
Emma war äußerst pflichtbewusst und würde sich von nichts von der Erfüllung ihrer Aufgaben abbringen lassen. In dieser Hinsicht waren sie und ich fast wie Klone.
Aber Emma Rousseau trieb noch etwas anderes an. Etwas, das ich nie so ganz begriffen hatte. Streben nach Macht? Oder Anerkennung? Irgendein manischer Drang, besser zu sein als alle anderen? Emma marschierte zu Trommelwirbeln, die ich nicht hörte.
»Inzwischen gibt es ja sehr gute Erfolge bei der Behandlung von Lymphomen.« Da mir nichts wirklich Tröstendes einfiel, griff ich auf Klischees zurück.
»Da hast du verdammt Recht.«
Emma hielt mir die geöffnete Hand entgegen. Ich klatschte ab. Sie ließ die Hand wieder aufs Bett sinken.
Diffuses, großes B-Zellen-Lymphom. Eine sehr maligne Variante. Der Krebs war destruktiv und wuchs rapide.
Ich spürte ein Brennen hinter den Augen. Wieder schaffte ich es, sie offen zu halten. Und mein Lächeln nicht zu verlieren.
Die gedämpfte Melodie von Bad Boys drang aus einem Schränkchen neben dem Bett.
»Mein Handy.«
»Ist das die Titelmelodie von Cops ?«
Emma deutete ungeduldig. »Es ist in der Plastiktüte bei meinen Klamotten.«
Als ich das Gerät herausgefischt hatte, hatte die Musik bereits wieder aufgehört. Emma schaute sich die Anruferliste an und drückte auf Rückruf.
Ich wusste, dass ich protestieren und ihr zu Ruhe und Erholung raten sollte, aber es war zwecklos. Emma würde tun, was sie tun wollte. Auch in der Hinsicht waren wir wie Klone.
»Emma Rousseau.«
Am anderen Ende der Leitung hörte ich eine blecherne Stimme.
»Ich war gerade beschäftigt«, sagte Emma.
Beschäftigt?, wiederholte ich stumm.
Emma tat es mit einer unwirschen Geste ab.
Ich verdrehte die Augen. Emma deutete warnend mit dem Finger.
»Wer hat den Vorfall gemeldet?«
Die blecherne Stimme antwortete, aber ich verstand nichts.
»Wo?«
Emma machte Schreibbewegungen. Ich zog Stift und Block aus meiner Handtasche. Der Infusionsgalgen klapperte, als Emma schrieb.
»Wer ist an dem Fall dran?«
Die blecherne Stimme antwortete länger.
»Geben Sie mir die Details.«
Emma hielt sich das Handy ans andere Ohr. Die Stimme verklang. Während sie zuhörte, wanderte ihr Blick zu ihrem Handgelenk. Ihre Uhr war nicht dort. Sie deutete auf meine. Ich streckte sie ihr hin.
»Rühren Sie die Leiche nicht an. Ich bin in einer Stunde dort.«
Emma schaltete ab, warf die Decke zurück und schwang die Beine aus dem Bett.
»Auf gar keinen Fall«, sagte ich und legte ihr die Hände auf die Knie. »Wenn ich mich nicht irre, hast du erst vor ein paar Stunden das Bewusstsein verloren.«
»Der Notarzt meinte, das käme nur von den Medikamenten. Erschöpfung. Alle meine Vitalfunktionen sind gut.«
»Erschöpfung?« Sogar für Emmas Verhältnisse war das eine gewagte Interpretation. »Du bist zusammengebrochen und hättest fast dein Hirn auf dem Boden verschmiert.«
»Jetzt geht’s mir wieder gut.« Emma stand auf und versuchte einen Schritt. Ihre Knie knickten ein. Sie stützte sich am Kopfbrett ab und schloss kurz die Augen, als wollte sie ihren Körper dazu zwingen, wieder zu funktionieren.
»Mir geht’s
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