Halsknacker
Menschenhand in diese Lage gekommen.«
Inspektor Schober überlegte. Ging dann in die Knie und betrachtete den kurz geschorenen Rasen, aus dem ein beträchtlicher, beinahe faustgroßer Klumpen Erde geschlagen war. Er erhob sich, trat an die Fahne, bückte sich abermals und holte mit triumphierendem Lächeln einen Ball aus dem Loch.
»Haben Sie etwas herausgefunden?«, fragte der Gestreifte.
»Allerdings«, gab Schober zurück. »Als Golfer muss ich Ihnen beiden zustimmen: Die Leiche ist zweifelsfrei loser Naturstoff, ihre Kleidung dagegen bewegliches Hemmnis. Entfernen dürfen Sie sowohl die Kleider als auch den Toten, zumal er sich nicht in einem Hindernis gemäß Regel dreizehn befindet.« Schober legte eine Pause ein und schüttelte den Kopf. »Als Kriminalbeamter muss ich Ihnen aber widersprechen: Hier liegt sicher keine Fremdeinwirkung vor.« Und mit leisem Seufzen fügte er hinzu: »Als Mensch wieder kann ich nur sagen: Es ist eine Bürde, immer allein seine Runden drehen zu müssen …«
Mitleidig musterte Schober den Toten, als ein Ruck durch dessen Körper ging. Der Dicke schlug die Augen auf. »Wenn Sie außerdem Arzt wären«, murmelte er benommen, »dann hätten Sie mich wiederbelebt, statt hier Vorträge zu halten. Schließlich ist es auch regelkonform, wenn sich der lose Naturstoff von selbst entfernt.«
Wie Schober vermutet hatte, war der Mann, so wie er selbst, alleine auf die Runde gegangen. Und hatte am achtzehnten Loch ein Hole-in-One gespielt. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sein Ball tatsächlich im Loch gelandet war, hatte ihn rasender Zorn ergriffen: Zorn darüber, dass es keinen Zeugen, keinen Beifall für seine Meisterleistung gab. In seiner Wut hatte er seinen Putter aufs Grün geschmettert, der Schläger war zerbrochen, der Schlägerkopf zurückgeprallt und gegen seine Stirn geschlagen.
»Wie heißen Sie?«, fragte Schober, als sie sich auf den Weg zum Klubhaus begaben. »Wendel«, gab der Dicke zurück. »Inspektor Wendel, Sittendezernat. Meine Kollegen weigern sich, Golf zu spielen, die machen sich immer nur lustig über mich …«
Ein letzter Sonnenstrahl fiel durch die Baumwipfel; er umhüllte die beiden Männer mit einer rötlichen Gloriole. Inspektor Schober ahnte, dass dies der Beginn einer wunderbaren Freundschaft war.
Kleine Geschenke der Freundschaft
G eh Ferdl, zahl mir noch eins, um unserer alten Freundschaft willen … Ob ich meine Brieftasche verloren hab? Da kann ich nur lachen … Brieftasche … Sei so gut, zahl mir noch eines, ja? Nur eins noch … Wo ich jetzt wohn, willst du wissen? Kommt drauf an. Im Sommer meistens im Stadtpark drüben, oder unten am Kanal, wo wir immer gespielt haben als Kinder. Im Stadtpark riecht’s besser, da gibt’s den Rosengarten und reihenweise parfümierte Damen, dafür ist es am Kanal unten ruhiger, und wenn’s regnet, kann ich mich unter die Brücke setzen. Jetzt im Winter bin ich am Bahnhof, Süd oder West, oder ich geh rüber ins Männerheim, auf eine Klostersuppe … Geh, zahl mir noch eines, Ferdl … Danke. Dank dir … Was hast g’sagt? Weil Weihnachten ist? Weihnachten? Dann verzicht ich. Dann kannst du dir dein Viertel in die Haar schmieren … Nein, war nur ein Scherz, ich nehm’s schon. Aber trotzdem: Komm mir nicht mehr mit Weihnachten. Nie wieder. Es ist ein einziger Fluch, dieses Weihnachten …
Wie lang wir uns nicht mehr gesehen haben? Das kann ich dir ziemlich genau sagen: zweiundzwanzig Jahre. Nach der vierten war’s, da bist von der Schule weg und hast die Fleischerlehre angefangen, im Geschäft von deinem Vater. Und der ist dann kurz darauf … Ich hab’s in der Zeitung gelesen damals. Nachträglich herzliches Beileid, Ferdl. Schlimme G’schicht … Sag, hat man die Täter eigentlich irgendwann erwischt? Nein? Furchtbar … Wenn man sich vorstellt, dass die immer noch frei herumlaufen … Na, jedenfalls haben wir uns dann aus den Augen verloren. Ich bin weiter in die Schule gegangen, und du … Aber so wie du ausschaust, hast du’s offenbar weit gebracht. Von deinem Anzug könnt ich ein halbes Jahr leben wie Gott in Frankreich …
Schon komisch, wie das Schicksal spielt. Kannst dich erinnern? Früher, in der Schulzeit, war ich es immer, der dir was spendiert hat, ein Eis oder eine Limonade … Ja, ich weiß schon, du hast ja nie ein Taschengeld gekriegt; ihr habts euch ja nichts leisten können, du und dein Vater. Sag, was ist eigentlich aus der Fleischerei geworden? Im Ernst? Die gehört immer
Weitere Kostenlose Bücher