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Halsknacker

Halsknacker

Titel: Halsknacker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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der Kellner herbei. Aber schon wird er rüde zur Seite geschoben und eine – man kann sie nicht anders bezeichnen – titanische Greisin tritt in den Raum. Eine seidene Bluse, die sich über der monströsen Oberweite spannt, ein gefältelter Rock, aus dem knorrige, haarige Waden ragen. Ein bulldoggenhaftes Gesicht unter einer – zu weit in die Stirn gerutschten – schlohweißen Perücke.
    Es ist Gusti, unser Fräulein Watzinger.
    »Der Hudak und du, ihr habts mir den Titel g’stohlen!«, bellt Watzinger heiser. »Und dann hast du dich abgesetzt, du feige Sau! Seit dreißig Jahren wart ich drauf, dass d’ endlich wieder z’rück nach Wien kommst, aber jetzt … jetzt hol ich mir, was mir gebührt! Brauchst gar nicht deppert glotzen, Krutnikow; jetzt hilft dir keiner mehr, schon gar nicht dein Freund Hudak, diese schäbige Figur. Der hat ja damals schon, nach seinem Fehlentscheid, sein jämmerliches Schwanzerl eingezogen. Jeden Abend nach den Kämpfen hab ich auf ihn g’wartet, draußen vor der Tür: ›Na, Hudak, kleiner Halsknacker gefällig?‹ Zwei Saisonen, dann war er so weit, dann hat er dem Heumarkt Adieu g’sagt. Und gestern … ja, gestern der Welt.«
    »Sie waren es«, konstatiert der Polivka. »Sie haben ihn umgebracht.«
    »Ich hab ihn ein bissel umarmt, aber leider: Er war halt dagegen allergisch. Der Hudak hat ja immer schon was gegen Herren in Damenkleidern gehabt, und wenn’s auch nur ein Schottenrockerl war.«
    Der Polivka steht auf. »Herr Watzinger, Sie sind verhaftet«, sagt er feierlich.
    Gustav Watzinger bedenkt den Polivka mit einem kurzen, abfälligen Blick; dann geht er langsam auf Paul Krutitz zu.
    »Bleiben S’ stehen, Herr Watzinger!«, versucht es der Polivka noch einmal. Watzinger antwortet nicht. Es ist Paul Krutitz, der an seiner Statt das Wort ergreift.
    »Nur einen Augenblick«, sagt Krutitz. Er erhebt sich mühevoll von seinem Sessel, windet sich aus dem Jackett, nimmt seine Brille ab und zieht sich dann mit elegantem Griff die dritten Zähne aus dem Mund. Mit einem schwer verständlichen »Wenn Fie fo freundlich wären« drückt er dem Polivka Gebiss und Brille in die Hand.
    »Ja, bravo! Hat sich der Krutnikow einen neuen Genossen gefunden!« Gustav Watzinger entledigt sich nun gleichfalls seines Zahnersatzes und versenkt ihn in Polivkas Rotweinglas. »Jepf paff gut auf, Genoffe Gulag, ich reiff dir die Eier ab!«
    Er ist ja nun kein ausgesprochen körperlicher Mensch, der Polivka. Und seine Dienstwaffe hat er, wie meistens, zu Hause gelassen. Also muss er nun tatenlos zusehen, wie die beiden wackeligen Alten in den Clinch gehen, wie sie ihre bläulich geäderten, zittrigen Hände ineinanderkrallen. Unser Fräulein startet bald den ersten Angriff; es bekommt den langen Bart von Pawel Gulag Krutnikow zu fassen, zerrt daran und presst dem Gegner seinen linken Ellenbogen ins Genick. Krutnikow röchelt, sein Blick geht ins Leere. Aber irgendwie gelingt es ihm, sich wieder hochzustemmen; mit gesenktem Kopf dringt er auf unser Fräulein ein, um ihm die Schulter in den Bauch zu rammen. Watzinger taumelt zurück, während Krutnikow die Fäuste in die Luft streckt und den Kopf zur Seite dreht, so weit es die Arthrose eben zulässt.
    »Er beschnuppert seine Achselhöhlen«, murmelt der Polivka, der mittlerweile wieder Platz genommen hat. Krutitz’ Gebiss auf dem Schoß, so sitzt er jetzt neben dem Kellner, um den Kampf der geriatrischen Giganten zu verfolgen.
    Unser Fräulein ist inzwischen unter beträchtlichen Mühen auf einen der Tische geklettert; es richtet sich schwer atmend auf. »Und jepf bekommf du deinen Gnadenftof, Genoffe Gulag!« Watzinger nimmt Maß, rückt vorsichtig bis an die Kante vor – und springt. Er hat jedoch nicht mit der Flinkheit des Feindes gerechnet: Während er noch in der Luft schwebt, trippelt Pawel Gulag Krutnikow mit einigen hastigen Schritten zur Seite. Unser Fräulein flattert, unser Fräulein kreischt. Mit einem lauten, knirschenden Geräusch kracht unser Fräulein auf die Bretter. Krutnikow wartet nicht lange; sogleich ist er wieder zur Stelle, kniet sich ungelenk und ächzend auf den Boden und wälzt sich dann über den reglosen Körper unseres Fräuleins, um es in den Schwitzkasten zu nehmen. Nach schier endlosen Sekunden ohne Gegenwehr ergreift er Watzingers erschlaffte Hand und klatscht damit auf die Parketten: zweimal, dreimal – der Kampf ist zu Ende.
    Er wäre auch so zu Ende gewesen. Eine Viertelstunde später stellen die vom Polivka

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