Hamburger, Hollywood & Highways
gehören zu dieser großen Familie der Vipern. Beim Biss drücken sie automatisch Gift aus den Drüsen. Um sich davor zu schützen, banden sich Indianer Haselsträucher um die Fußknöchel, weil Schlangen den Geruch dieser Pflanze nicht ertragen. Das alles fiel mir in einer Millisekunde ein, während das Adrenalin aus einem schlaftrunkenen Murmeltier einen hellwachen Krieger der Sioux machte. Die Klapperschlange richtete sich auf, rasselte mit dem Schwanz, was lauter war als ich jemals vermutet hätte. Ich dagegen war ganz leise, rutschte Zentimeter um Zentimeter aus ihrer Reichweite. Bergab, Richtung Auto, war ich dann richtig schnell. Was natürlich nicht an der Klapperschlange lag, sondern an der Verabredung, die ich beinahe verschlafen hatte.
Ucross, 25 Einwohner, stand auf dem Schild. Sicher vermutet hier kaum jemand eine der angesehensten Künstlerkolonien Amerikas. Vielleicht war das der Grund, weshalb sie sich im einsamen Wyoming angesiedelt hat, denn schließlich gehört „Arbeiten ohne gestört zu werden“ zu ihren Grundprinzipien. Ich hatte trotzdem vor, ein wenig zu stören, aber ich kam nicht uneingeladen. Micah Garen hieß mein Gastgeber, der für ein paar Monate die Abgeschiedenheit von Ucross der Hektik von New York vorgezogen hatte. Dort hatte ich ihn und seine Frau Marie-Hélène kennen gelernt. Bis zum 13. August 2004 war das Ehepaar zwei von vielen engagierten Journalisten gewesen, die sich kritisch mit Amerikas Kriegen in Afghanistan und im Irak auseinander setzten.
„Damals gabs über mich 120 Google-Einträge“, sagte Micah. „Zwei Tage später waren es 80000.“
Wir hatten es uns in seinem Studio gemütlich gemacht. Das heißt, gemütlich ist das falsche Wort, denn überall standen Computer herum, Schnittgeräte und Kameras. Berge von Filmkassetten lagen auf dem Boden.
„160 Stunden Material“, seufzte Micah. „Für 60 Minuten Dokumentarfilm.“
Auf den Kassetten waren nie gesehene Bilder von Plünderungen in der südirakischen Stadt Nasiriyah, wo sich die wichtigsten archäologischen Stätten des Iraks befinden. Dort war Micah unterwegs gewesen, als ihn Anhänger der radikalen Schiitengruppe Moqtada al-Sadr zusammen mit seinem Übersetzer Amir Doshe entführten.
„Es war der letzte Aufnahmetag“, sagte Micah. „Marie-Hélène war schon zurückgeflogen, um die Postproduktion vorzubereiten. Ich bin mit einem schlechten Gefühl aufgewacht, was damit zusammenhing, dass am Tag zuvor Soldaten der italienischen Koalitionstruppe ein Taxi beschossen hatten, in dem eine schwangere Frau mit ihrer Familie unterwegs ins Krankenhaus war. Bis auf den Fahrer kamen alle ums Leben. Aufruhr lag in der Luft.“
Micah hatte Erfahrung mit solchen Situationen. Er war in Afghanistan gewesen, als die Taliban die aus dem 6. Jahrhundert stammenden Buddha-Statuen von Bamiyan zerstörten. Auch im Irak hatte er wiederholt gearbeitet, zuletzt 2003. Doch danach war etwas geschehen.
„Als ich wieder ins Land kam, war die Stimmung umgeschlagen. Davor hatten die Menschen Amerika gefeiert. Jetzt waren wir auf einmal Feinde. Wir mussten uns mit dem französischen Pass von Marie- Hélène durchschlagen.“
Was auch nichts half. Als Marie-Hélène zuhause in New York ankam und CNN einschaltete, sah sie Schreckliches: Micah kniete auf dem Boden, dahinter standen ein Dutzend maskierter Männer mit AK 40-Gewehren und Granatwerfern.
„Gerade waren Nick Berg und Kim Sun-Il vor laufender Kamera geköpft worden“, sagte Marie-Hélène. „Ich weiß nicht mehr, was ich in diesem Augenblick empfand. Die Entführer forderten die USA auf, sich innerhalb von 48 Stunden aus der heiligen Stadt Nadjaf zurückzuziehen. Natürlich wusste ich, dass wird niemals passieren.“
Marie-Hélène klemmte sich ans Telefon und startete eine Rettungsaktion, die ihresgleichen suchte.
„Die kommenden 10 Tage habe ich kaum mehr als zwei Stunden geschlafen“, sagte sie. „Aber Micah gings nicht anders.“
Hin- und hergerissen zwischen den Todesdrohungen seiner Entführer und der Hoffnung, freizukommen, vergingen für ihn endlose Tage.
„Wir waren die einzigen Journalisten in Nasiriyah gewesen“, sagte Micah. „Ich konnte nicht mit ansehen, wie die 4000 Jahre alten sumerischen Gedenkstätten von Umma geplündert wurden. Der Archäologe Abdul- Amir Hamdani versuchte die Stätten zu schützen, und wir begleiteten ihn dabei.“
Als das Ultimatum ablief, hatte Marie-Hélène eine Lawine losgetreten, die sie
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