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Hamburger, Hollywood & Highways

Titel: Hamburger, Hollywood & Highways Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Oliver Bachmann
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„grassroot“-Journalismus nannte.
    „Zum Glück kannte ich die komplizierten politischen Verhältnisse der Region. Da gab es den religiösen Führer Moqtada al-Sadr und seine loyale Miliz, die Mahdi-Armee. Aber da waren auch jede Menge Splittergruppen, die alle auf sich aufmerksam machen wollten. Die Entführung von Ausländern, ganz besonders Amerikanern, war und ist das probate Mittel dazu. Deshalb sprach ich mit jedem, der Kontakt zu al-Sadr und den Splittergruppen hatte. Grassroot eben, an der Basis geführt.“
    Es ging darum, die Entführer zu überzeugen, dass Micah sich für ihr kulturelles Erbe einsetzte, und dass sein Tod keinesfalls das Ansehen brachte, welches sie sich erhofften.
    „Micahs Schwester Eva“, sagte Marie-Hélène, „trat im arabischen Fernsehsender Al-Jazeera auf, um die Botschaft an die richtigen Leute zu bringen. Während dieser Zeit schmiedete Micah Fluchtpläne.“
    Wir saßen noch immer um die Computer herum. Jetzt stand Micah auf und ging im Kreis wie ein gefangenes Tier. Die Erinnerung war zu stark.
    „Ich wusste nicht, was vor sich ging“, sagte er. „Amir und ich waren am Ende unserer Kräfte. Doch kurz vor der Flucht weigerte er sich, mitzukommen. Ihn alleine zurücklassen wollte ich nicht.“
    „Wahrscheinlich war es die bessere Entscheidung“, warf Marie-Hélène ein. „Ein Teil der Entführer merkte, dass etwas nicht nach Plan lief. Sie wandten sich an Sheik Aws al-Khafaji, der für Moqtada al-Sadr die Region kontrollierte, und forderten Geld.“
    Geld war da. In wenigen Tagen hatte Marie-Hélène Zusagen über 10 Millionen Dollar zusammengebettelt. „Wir haben für euch einen Spion gefangen, sagten sie zu al-Khafaji.“ Micah setzte sich wieder. „Wir verstehen nicht, warum ihr ihn nicht wollt. Er kostet Geld. Er isst. Für 12 Dollar hat er gegessen. Die wollen wir wieder haben.“
    „Wir hatten 10 Millionen Dollar“, sagte Marie-Hélène, „und die wollten 12 Dollar. Dann kam Sheik Aws Antwort, und die war Nein. Zu teuer.“
    Ein Treppenwitz des Schicksals. Alles hing am seidenen Faden, als al-Sadr, trotz klarer Position gegen die amerikanische Besatzung, ein Machtwort sprach. Am 22. August wurden Micah und Amir freigelassen.
    „Ich nehme an, du bist gleich nach New York geflogen?“, fragte ich.
    Jetzt lachte Micah. „Das war nochmals richtig schwierig“, sagte er. „Die Frau am Ticketschalter wies mich darauf hin, dass ich meinen Flug verpasst hätte. Ich bräuchte ein neues Ticket. Aber ich hatte keinen Cent in der Tasche.“
    Am Ende sprang das State Department ein. Micah und Marie-Hélène konnten sich einen Tag später am JFK-Flughafen in die Arme schließen.
    Ich hatte vor meiner Abfahrt in Buffalo einen Abstecher zum Bottle Store gemacht. Die Flasche mit feinem kalifornischem Blubberwasser passte gut zum Anlass. Wir stießen an und tranken auf Marie-Hélènes Energie und Micahs Freiheit.
    „Wart ihr wieder dort?“, fragte ich.
    Micah schüttelte den Kopf. „Mein Herz hängt an den Leuten, an den archäologischen Stätten, an deren Schutz“, sagte er.
    Er machte eine Pause. „Aber es geht nicht“, fuhr er fort. „Es geht einfach nicht.“
    „Wie ist es“, wollte ich wissen, „wenn man auf einmal Staatsfeind Nummer Eins ist?“
    Er wusste, was ich meinte. Früher war man mit einem amerikanischen Pass um die Welt gereist, und fast überall herzlich willkommen. Unter Bush gab es viele Leute wie Micah, die lieber verschwiegen, wo sie herkamen – und das nicht nur im Irak.
    „Schon beschissen“, sagte er. „Aber wen wunderts? Schau mal.“
    Er knipste einen Computer an, und während dieser hochfuhr, erzählte er: „Ich filmte, wie am Weihnachstabend 2003 die G-Truppe der Zweiten Brigade der Ersten Infanterie geschickt wurde, um Sahyeeb al-Duri festzunehmen. Den verdächtigte man, Kurier zwischen Saddam und dessen Nummer Sechs, Izat Ibrahim al Duri, gewesen zu sein.“
    Auf dem Computerscreen erschien das Bild eines amerikanischen Soldaten in einer Waffenkammer, der ein Gewehr in Empfang nimmt. Im Hintergrund läuft „Stille Nacht, heilige Nacht“. Der GI lädt die Waffe durch und ruft: „Rock ‘n’ Roll!“
    „Kommt mir bekannt vor“, sagte ich.
    „Aus Fahrenheit 9/11“, sagte Micah. „Ich habe Michael das Material überlassen. Ausschnitte davon hat er für seinen Film verwendet.“
    Fahrenheit 9/11, der Dokumentarfilm von Michael Moore, beschäftigte sich mit den Folgen der Terrorangriffe des 11. Septembers 2001, und den

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