Hamburger, Hollywood & Highways
welches Amerikaner so auf die Palme bringt wie abortion . Militante Abtreibungsgegner haben in den letzten Jahren eine Vielzahl von Anschlägen auf Abtreibungskliniken verübt, mit zum Teil tödlichen Folgen.
Mit ihrem endlosen Mantra im Ohr, „abortion is murder“ und „Obama supports abortion“, stand ich da, und wusste nicht, was mit mir anfangen. Es begann zu regnen, und irgendwie lud das alles nicht zum Verweilen ein. Für meinen Geschmack waren auch zu viele Leute in Uniform unterwegs. Selbst in Lhasa, der Hauptstadt von Tibet, hatte ich kein derart massives Aufgebot an Soldaten gesehen. Es gibt Städte, in die fährt man nur, damit man wieder wegfahren kann, und es schien, als wolle sich Washington in diese Liste einreihen. Vielleicht war ich auch deprimiert, weil ich Abschied von der Gummiente nehmen musste. Ich hatte mir vorgenommen, mit dem Zug weiterzufahren, was in Amerika ein rares Vergnügen ist. Viele Verbindungen stehen nicht zur Auswahl, doch von Washington fährt eine Bimmelbahn Richtung New York, und von dort weiter nach Boston. Dieser Zug ist nicht gerade mit einem ICE oder TGV vergleichbar, aber auch nicht museumsreif. Er erinnert an die schönen Zeiten vor dem Hochgeschwindigkeitswahn, als man mit gemütlichen 80 Stundenkilometern durch die Landschaft zuckelte, und trotzdem pünktlicher als heute ans Ziel kam.
Doch wie sollte ich es ihr beibringen? Wie der Gummiente sagen, dass sich unsere Highways trennten? Sich auf Französisch verabschieden? Das war nicht meine Sache. Ihr ein letztes Becherchen Motorenöl einflößen, nochmals auf gute und schlechte Kilometer zurückschauen? Die Zukunft preisen, wo jeder von uns seine eigene Straße fahren würde, womöglich eine neue Beziehung eingehen konnte? Ich kam mir schlecht vor, was kein Wunder ist, denn in unserer Familie pflegt man eine emotionale Beziehung zum Automobil. Unsere erste Familienkutsche war ein DKW gewesen, der Augenstern meines Vaters. Ein sogenannter Großer DKW, mit der kryptischen Bezeichnung 3=6 Typ F93/F94. Satte 38 PS steckten unter seiner eleganten Kühlerhaube. Zu Zeiten, als ich johlend auf dem Rücksitz meinen Schwestern an den Haaren riss, während mein Vater den Wagen stoisch über den Maloja-Pass gen Italien steuerte, hatte unser Großer DKW schon 15 Jahre auf dem Buckel. Dazu kamen nochmals fünf, bis es auch für diesen R2-D2 der deutschen Autoindustrie hieß, ab auf den Schrottplatz. Da harrte er Woche für Woche eines ungewissen Schicksals, und Woche für Woche stattete ihm Familie Bachmann einen Besuch ab. Zu fünft plus Hund standen wir um das Auto, und meine Mutter fragte: „Können wir ihn nicht einfach wieder mitnehmen?“ Dann, eines schlechten Tages, betraten wir den Ort des Schreckens, und sein Platz war leer. 3=6 Typ F93/F94 war von uns gegangen, den Weg alles Irdischen, und bei uns Kindern flossen Tränen. Ich weiß nicht, was unser Hund von all dem hielt, aber ich habe so eine Ahnung. Er war immer der Erste, der zu winseln begann.
So wie damals fühlte ich mich, als ich jetzt die Gummiente in die Tiefgarage der Autovermietung steuerte.
„Mach uns keine Schande“, flüsterte ich, während ein bebrillter Inspektor wie der Forensiker einer Gerichtsserie um den Wagen schlich, um verräterische Spuren zu finden. Aber da waren keine, außer hier und da ein Minikratzer. Irgendwann setzte Mister Brille seinen Servus auf ein Blatt Papier, drückte es mir in die Hand.
Danach ging alles ganz schnell, wie bei jeder Scheidung. Mister Brille klemmte sich hinters Steuer, und die Gummiente verschwand aus meinem Blick. Der war aber auch irgendwie schlecht heute, irgendwie ganz verschwommen.
Droben im Büro reichte ich den Beleg über die Theke, bekam dafür eine Quittung, und betrat als freier Mann die Straße. Eine Weile stand ich verloren in der Gegend herum, dann marschierte ich wieder rein.
„Können Sie mir ein Taxi rufen?“, fragte ich.
„Um die Ecke gibts welche“, war die Antwort.
Also ging ich um die Ecke. Ein paar hässliche Autos standen da und behaupteten von sich, Taxis zu sein. Ich überwand meine Abscheu, stieg ein, und ließ mich zum Bahnhof kutschieren.
Dort kletterte ich in den Zug Richtung Big Apple : Der Acela Express X 2172 verließ Washington um 16 Uhr, und hatte vor, New York City um 18:48 Uhr zu erreichen. Ich setzte mich, und wusste erst mal nicht, was ich mit den Händen anfangen sollte. Wo war denn hier das Lenkrad? Darum sah, wer mich beobachtete, wie ich winkte, und das galt
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