Hamburger, Hollywood & Highways
Wall Street Hangout. Hier trank man normalerweise auf die Siege des Tages, doch heute war es anders. Heute war alles anders. So anders, dass keinem auffiel, dass ich der einzige männliche Gast ohne Krawatte war. Vermutlich war ich auch der Einzige, der keinen in der Krone hatte. Paul neben mir hatte jedenfalls mächtig einen sitzen. Vor zehn Minuten hatten wir uns kennen gelernt, jetzt nannte er mich seinen Freund.
„Früher hat sich Unsereins bei dieser Gelegenheit aus dem Fenster gestürzt“, lallte er, und dachte wohl an den legendären Börsencrash von 1929. „Nicht mal dazu haben wir noch den Mut.“
Er hob zwei Finger, verlangte Stella Beer. „Eins für meinen Freund, eins für mich“, sagte er.
Dann wollte er wissen: „Wo kommst du her?“
Ich gab Auskunft.
„Germany“, sagte er. „Sei froh.“
Das hört man nicht all zu häufig an der Wall Street. Normalerweise kennt das Ego der Geldfuzzys keine Grenzen. Wen wunderts, fängt schon das Einstiegsgehalt eines Nullachtfünfzehn-Analysten frisch von der Uni bei 150000 Dollar an. Netto, versteht sich. Eine Stufe höher, als Banking Associate , verdienen Jungspunde um die 3000000 Dollar. Danach gibts kein Halten mehr. Vikram Pandit, der Boss der Citigroup Bank, häufte in seiner kurzen Amtszeit ein Vermögen von 1,4 Milliarden Dollar an. Auch wenn die New Yorker Tageszeitungen hämisch darüber berichteten, dass von diesem Geldhaufen nach dem Schwarzen Montag nur 400 Millionen übrig geblieben waren, ist das immer noch mehr als Dagobert Duck jemals in seinem Geldspeicher hatte. Selbst wenn jetzt die Panzerknacker in Form von Pleiten, Pech und Pannen zuschlugen, sind 400 Mios doch noch immer ein weiches Polster. Viel schlimmer als die Superreichen, die sich am Ende des Arbeitstages vom Heliport am East River zu ihren Villas in den Hamptons fliegen lassen, traf es Leute wie Paul. Die meisten Wall-Street- Mitarbeiter leben nicht anders als ihre Mitbürger mit normalen Jobs: Sie leben auf Pump. Von Häusern über Autos bis zum Handy wird alles über Kreditkauf finanziert. Nach Angaben der Federal Reserve sind über 80 Prozent aller amerikanischen Haushalte überschuldet. Um das rauszufinden, braucht man nicht einmal Statistik. Es genügt, fünf Minuten Fernsehen zu schauen. Egal, auf welchem Kanal, überall laufen die Werbespots der Umschuldungsfirmen. Beliebter Slogan: „Mach dein Leben wieder lebenswert – komm runter von den Schulden.“ Ob's hilft? Schließlich gilt noch immer das Verdikt von André Kostolany, dem ungarischen Anlagepapst: „Es gibt nur eine Regel: Einfach mehr einnehmen als ausgeben.“ Die aber war in Amerikas Konsumrausch irgendwo auf der Strecke geblieben.
Drei Runden und unzähliger it's over später wankte Paul zum Ausgang. „Muss meiner Frau sagen, dass unser Haus nicht mehr unser Haus ist“, sagte er. Irgendwie tat er mir Leid. Obwohl in Tom Wolfes Roman „Bonfire of the Vanities“ oder in Brat Easton Ellis’ Buch „American Psycho“ oder in Oliver Stones Film „Wall Street“ amerikanische Finanzjongleure nicht im besten Licht erscheinen, wollte ich seinen Gang nach Canossa nicht antreten müssen. Ich winkte Peter Poulakakos, dem Besitzer von Harry's, und fragte ihn nach seiner Meinung. Schließlich hatte er hinter seiner Bar schon allerhand erlebt: Den Schwarzen Montag von 1987, den Crash des Nikkei-Index 1990, das Platzen der Dotcom-Blase 2000, der Sturz ins Bodenlose nach den Anschlägen vom 11. September.
„Seit gestern“, gab er so exakt wie ein Aktienanalyst zu Antwort, „habe ich 88 Prozent mehr Bier verkauft. Eine Baisse ist immer gut für den Durst.“
So funktioniert unsere Welt. Wo es Verlierer gibt, gibt es auch Gewinner. Und umgekehrt.
New York ist ein Ballungszentrum, in dem über 20 Millionen Menschen leben. New York ist auch eine Stadt, in der man anders als in vielen amerikanischen Städten gut zu Fuß unterwegs sein kann. Seit der frühere Bürgermeister Rudolph William Louis „Rudy“ Giuliani III – ist das nicht ein Name? – den eisernen Besen geschwungen hatte, geht das sogar meist auf Nummer Sicher. Davor war Guiliani Bundesstaatsanwalt von New York, und in dieser Funktion hatte er schon einmal kräftig geübt. Er führte Anklagen gegen die Bosse der Fünf Familien der Cosa Nostra , aber auch gegen die Wall-Street- Schlitzohren Ivan Boesky und Michael Milken, die durch ihre Junk-Bond-Spekulationen den Crash von 1987 fast im Alleingang zu verantworten hatten. Zur selben Zeit sorgte
Weitere Kostenlose Bücher