Hamburger, Hollywood & Highways
voran.“
„Und du?“, fragte ich, „was ist deine Rolle?“
Harry tippte sich an den Kopf.
„Ideen und Erfahrung“, sagte er, „braucht man immer. Ein Auto ist wie ein ungezähmtes Tier. Ohne Dompteur geht da nichts.“
Ich dachte an die Gummiente. Sie war auch ein ungezähmtes Tier. Zumindest ihre Lenkung. Und ihre Bremsen. Und ihre lahmarschige Schaltung. Und, und, und. Doch sie war treu, und Treue musste belohnt werden. Morgen würde ich mit ihr die 5000 Kilometergrenze knacken, und ich hatte vor, das Ereignis gebührend zu feiern.
Und das tat ich auch. In der Nähe von Youngstown mit Muffins satt. Die Gummiente bekam einen Extraschuss Motorenöl, und außerdem putzte ich ihre Scheiben. Wir standen auf einem Parkplatz nahe des Highways, und waren zufrieden. Mensch und Auto, in Harmonie vereint.
Mittlerweile war die Landschaft waldig und hügelig geworden. Das waren die Appalachen, so etwas wie das Schwestergebirge der Rocky Mountains. Zwar nicht so hoch und nicht so breit und auch nicht so lang, aber trotzdem ganz schön wild. Die Gründe für Amerikas Wetterkapriolen sind auf diese beiden Gebirgszüge zurückzuführen. Sie laufen von Norden nach Süden und riegeln das Land von Ostund Westwinden ab. Da es in den USA keine nennenswerten Quergebirge gibt, strömt im Sommer feuchtheiße Luft aus dem Süden ungehindert durch und schafft selbst in nördlichen Bundesstaaten Saunatemperaturen. Im Winter ist es umgekehrt: Kalte Winde aus Kanada gelangen tief in den Süden, und das in bedrohlicher Schnelle. So sorgen Sommer- Hurrikane dafür, dass selbst New Yorker Flughäfen die Schotten dicht machen müssen, während im Winter Blizzards von einer Minute auf die andere die gesamte Ostküste lahmlegen können.
Ich genoss die neue Landschaft. Es tat gut, mal wieder in einem Landstrich unterwegs zu sein, wo die Worte „Berg“ und „Tal“ nicht zu den ausgestorbenen Vokabeln zählten. Früher war die Gegend zwischen Pittsburgh und Cleveland die am meisten verschmutzte Region der Vereinigten Staaten gewesen. Früher heißt, als der Stahlkocher einen Beruf mit Zukunft hatte, und überall die Schlote qualmten. Wie im Ruhrgebiet sind diese längst erloschen, und nach Jahrzehnten des Niedergangs hat man nun auch hier den Strukturwandel eingeläutet. Kurz hinter Cleveland wollte mich ein Straßenschild nach Akron locken, doch ich hatte meinen Schwur aus Wyominger Tagen nicht vergessen. Nein, ich würde der Hauptstadt des Hamburgers nicht die Ehre eines Besuches erweisen. Dort werden neben Fleischklöpsen vor allem Autoreifen hergestellt – Goodyear, Firestone und Co. sandten deutliche Stinkzeichen herüber – und mein Gehirn puzzelte eine unliebsame Verbrüderung der beiden Industrien zusammen. Nutzten sie die gleichen Ingredenzien? Schmeckte ähnlich, was am Ende herauskam? Oder war ich einfach schon zu lange unterwegs bei mieser Ernährung?
Ich nahm mir vor, eine längere Pause in Washington einzulegen, um darüber nachzudenken.
Wie gesagt, das nahm ich mir vor. Natürlich kam es ganz anders.
Von Windmühlen und neuer Hoffnung
Wer Daniel Oliver Bachmann googelt, findet einen Eintrag, nämlich meine bescheidene Webseite. Wer es mit Stuttgart probiert, kann sich auf rund 93 Millionen Seiten festlesen. Berlin kommt auf über 366 Millionen Seiten, und bei Washington sind es satte 572 Millionen. Über Amerikas Hauptstadt ist also alles geschrieben, gefilmt und gesagt worden, so dass ich keine Ahnung hatte, was ich noch schreiben, filmen oder sagen könnte. Deshalb hatte ich vor zu schweigen. Ich wollte mich vors Weiße Haus stellen, über Amerika und seine Rolle in der Welt meditieren, und meine Gedanken schön für mich behalten. Daraus wurde nichts, denn meditative Stimmung kam gar nicht erst auf. Das Weiße Haus war so weitläufig abgesperrt wie der G-8-Gipfel, wenn die Mächtigen unserer Erdkugel den Gang des Schicksals wieder etwas zu ihren Gunsten verschieben und dabei keine Zaungäste möchten. Zum Glück hatte ich einen Feldstecher dabei, den zog ich raus, und tatsächlich, da hinten war die Hütte. Kleiner als gedacht. Fast schon mitleidserregend auch das Häuflein Demonstranten, die vor den Absperrungen ihre Parolen ins Nichts sangen. Da ging es nicht darum, wer über den Lauf der Welt bestimmte, sondern über den Mutterbauch. Es waren Abtreibungsgegner, und sie hielten Plakate hoch, auf denen zu lesen war:
„Abtreibung ist Mord!“
Und: „Obama unterstützt Abtreibung!“
Es gibt kaum ein Thema,
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