Hamburger, Hollywood & Highways
nicht dem Weißen Haus, den Demonstranten, der Armee von Polizisten, sondern einzig und allein der Gummiente.
Aber es beobachtete mich keiner. Ich saß alleine im Abteil.
Das sollte sich bald ändern. Wie es sich für eine Bimmelbahn gehörte, plante der Acela Express einen Stopp an jeder Milchkanne. Weil es von denen zwischen Washington und New York nicht so viele gab, hielt er statt dessen an jedem Haus mit Amerikafahne im Garten. Anders als im Westen wurde hier noch ordentlich Flagge gezeigt, was gut zu meiner Lektüre passte. Ich hatte die Wochenendausgabe der New York Times auf dem Schoß, ein zehn Kilo schweres Papierbündel, vielleicht die dickste Zeitung der Welt. Die Nachrichten darin waren schlecht. Schlagzeile Nummer Eins war: George W. Bush und „seine Kriegstreiber setzen bis zum letzten Blutstropfen ihre trigger-pulling-policy fort“. Ich las den Artikel zweimal, denn eigentlich gehört die New York Times zu den Zeitungen, die sich gerne etwas gewählter ausdrücken. Doch jetzt war vom „Irrweg eines Psychopathen“ zu lesen, was kein Zweifel daran ließ, dass man mittlerweile auch in den Redaktionsstuben der einzigen Zeitung Amerikas, die bis dato 98 Pulitzerpreise gewann, die Nase vom Texaner gestrichen voll hatte. Aber die Macht war nicht mit den Redakteuren, sondern mit der dunklen Seite: Pull the trigger , zieh den Abzug durch, nannte die Regierung ihre neuesten Pläne. Bush erteilte darin den Special Forces in Pakistan in James- Bond-Manier die Lizenz zum Töten, und zwar ohne die Regierung des Landes vorher zu konsultieren. Zusammen mit der Meldung, dass Amerika in diesem Jahr einen neuen Rekord an Waffenverkäufen aufgestellt hatte, ergab sich ein schauerliches Bild: Raketen, Panzer, Artillerie, Bomben und weiß der Teufel alles, waren für 30 Milliarden Dollar über den Ladentisch gewandert. Regierungssprecher Bruce Lemkin bemerkte dazu zynisch: „Es geht uns nicht darum, Geschäfte abzuschließen. Es geht uns darum, die Welt sicherer zu machen.“
Mittlerweile fragte ich mich, ob sich so wohl ein Amerikaner gefühlt hatte, der in den 30er Jahren durch Nazideutschland fuhr. Da saß ich im mittlerweile gut gefüllten Zug mit diesem Packen schlechter Nachrichten von einer Regierung, die alle demokratischen Grundregeln außer Kraft setzte, und schielte voller Neid zu meinem Sitznachbarn hinüber, der seine Nase in einem interessanten Schmöker stecken hatte. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus.
„Gutes Buch?“, fragte ich, und die Antwort kam prompt: „Besser als gut. Sind jede Menge Windmühlen drin.“
Das kam nun doch einigermaßen überraschend. Ich ging im Geist alle Bücher durch, die ich jemals gelesen hatte, aber es wollte mir kaum eines einfallen mit Windmühlen drin. Cervantes Don Quijote natürlich, aber danach sah die Lektüre nicht aus.
„Green Mars“, half mir mein Nachbar auf die Sprünge. „Nicht zu verwechseln mit Red Mars oder Blue Mars.“
„Auf keinen Fall“, antwortete ich. Ich kannte keinen dieser Titel. Weil wir in Amerika waren und man das hier so macht, streckte ich die Hand aus und sagte „I'm Daniel“. Mein Nachbar streckte ebenfalls die Hand aus: „Nice to meet you. The name's Garrett.“
Die Sache klärte sich auf: Garrett arbeitete als Ingenieur für einen Windanlagenhersteller in Vermont. Kein Wunder, dass ihn Kim Stanley Robinsons Mars-Trilogie faszinierte. Aus der stammte sein Buch, und Garrett erzählte mir die Geschichte hinter der Geschichte. Bei der Besiedlung des Mars durch die Menschen stießen diese auf alle Probleme, welche sie auf der Erde scheinbar zurückgelassen hatten. Wie zum Beispiel naturzerstörende Energiegewinnung.
„Das nenne ich eine gelungen Allegorie“, sagte Garrett. „Der Typ weiß, von was er schreibt. Ich komme gerade aus Husum zurück, da hatten wir ganz ähnliche Themen.“
Mein Gesicht war ein einziges Fragezeichen.
„Husum, Germany, kennst du nicht?“
Jetzt fiel der Groschen: Im schönen Husum findet jedes Jahr eine bedeutende Messe für Windenergie statt. Davon weiß ich, weil ich vor einigen Jahren einen Dokumentarfilm über Energiegewinnung durch Windkraft drehte. Der Film brachte mich zwar nicht nach Schleswig-Holstein, dafür nach Huitengxile in der Äußeren Mongolei, wo der größte Windpark Chinas entstand. Das Reich der Mitte hatte die USA als größten Umweltsünder der Welt überholt, und die 67000 Tonnen Kohlendioxid, welche die Anlage pro Jahr einsparen sollte, war ein erster Beitrag in
Weitere Kostenlose Bücher