Hamburger, Hollywood & Highways
gibt, zeigt doch, wie sehr wir auf den Hund gekommen sind“, sagte Marianne.
Ich sprach ihr Trost zu. Wir hatten auch unsere Minister Hans Friderichs und Otto Graf Lambsdorff, die sich von einem schwerreichen Industriellen namens Flick kaufen ließen. Wir hatten einen Bundestagspräsidenten Rainer Barzel, der die Hand aufhielt, und einen Kanzler Kohl mit seinen schwarzen Kassen. Wir haben eine Partei, die den Namen „Christlich“ führt, sich aber nicht davor scheut, Geld eines international gesuchten Waffenschiebers anzunehmen.
„Denkst du manchmal auch, dass die Demokratie am Ende ist?“, fragte Marianne.
„Ist sie nicht“, antwortete ich, „solange solche Schweinereien noch aufgedeckt werden.“
Ich hatte nie zuvor in Williamsburg gewohnt, und nach ein paar Wochen liebte ich „mein Viertel“. Um die Ecke lag die Bedford Avenue, die auf der Höhe meiner Querstraße eine polnisch-russische Welt war. Ein paar Straßen weiter wurde sie asiatisch. Noch ein paar Straßen weiter mexikanisch. Dort befand sich auch die Williamsburg Bridge, und über eine Rampe gelangte ich hinauf auf den Fußweg. Es gab nichts Schöneres, als nachts nach Manhattan zu spazieren, mitten hinein in diesen glitzernden Diamanten.
Auf dem Weg zurück machte ich Halt in einer der zahllosen Kneipen, die keine Sperrstunde kannten. Das Viertel wurde gerade „hip“, überall öffneten neue Geschäfte. Schicke Bars entstanden in Lagerhallen, wo vor nicht allzu langer Zeit noch Fleisch verpackt worden war. Dann passierte, was passieren musste: Ich landete im angesagtesten Laden von Brooklyn. Das war zur Zeit die Radegast Hall, ein authentic beergarden in der 113 North 3t. Street, blau-weiß beflaggt von oben bis unten. Zu Ehren des „Ozapft is“ 6000 Kilometer östlich in Old Germany spielte der Radeberger Spielmannszug, was die New Yorker voller Freude „Oom-pah-music“ nennen.
Ich setzte mich auf eine original Bierbank mit einer original Maß Bier vor mir, und fühlte mich wie der Münchner im Himmel, der Alois Hingerl, seines Zeichens Dienstmann Nummer 172 auf dem Hauptbahnhof der bayerischen Landeshauptstadt. Wie er auf Wolke 7 bestellte ich noch a Maß und noch a Maß und noch a Maß, und Himmi-Herrgott-Erdäpfi- Saggarament, weils so gemütlich war in der Radegast Hall, wartet die amerikanische Regierung noch heute auf die göttlichen Ratschläge.
Neben mir kauerte ein tätowierter Jüngling mit einer Frisur wie Mr. T im Film Rocky III, was eigentlich kaum mehr der heutigen Mode entspricht. Er starrte schweigend in sein Bier. Als ich schon dachte, vielleicht ist er stumm, so was kanns ja geben, blickte er auf.
„Dieses Jahr wurden in New York 268 Banküberfälle verübt“, sagte er. „Die Täter erbeuteten durchschnittlich 4800 Dollar. Sechs von zehn Banküberfällen wurden aufgeklärt.“
Danach verstummte er wieder.
Der Radeberger Spielmannszug spielte einen Tusch.
Aus meiner Wohnung raus, die Straße runter, keine 300 Meter entfernt, lag der East River. Auf der anderen Seite des Flusses trutzten die Steinburgen von Manhattan, auf meiner warf ein Fischer seine Angel aus. Ich schaute ihm zu. Eine viertel Stunde, eine halbe Stunde, eine Stunde, ich schaute noch immer zu. Er hatte die Ruhe weg, wie das so die Art von Anglern ist. Die Fische im Wasser, falls es sie geben sollte, blieben ebenfalls relaxt.
Der East River, ein Seitenarm des Hudsons, umschließt Manhattan auf der östlichen Seite. In den Straßenschluchten der Stadt vergisst man mitunter, dass man sich auf einer Insel befindet. Noch vor 400 Jahren gehörte das alles Indianern vom Stamm der Algonkin und Irokesen. Sie nannten die Fremdlinge aus Europa Swanekken – Salzwasserleute. Anders als in Boston und Connecticut wurde New York ja nicht von puritanischen Siedlern gegründet, sondern von Händlern. So sollte es auch acht geschlagene Jahre dauern, bis einmal eine Kirche errichtet wurde. Dafür konnte man schon 1844 auf den Straßen von Neu-Amsterdam 18 verschiedene Sprachen hören. Multikulturalität war der Betonpfeiler, auf den die Stadt baute. Nirgendwo in Amerika wurde die Idee des melting pots , des Schmelztiegels der Nationen, so überzeugend in die Tat umgesetzt wie hier.
„Der Eindruck täuscht“, widersprach Emily Raboteau. „Es gibt keine Vermischung.“
Das hatte sie gestern zu mir gesagt. Wir saßen im Miss Maude's am Malcom X Boulevard in Harlem. Hier servierte man Soul-Food à la Louisiana, südliches Essen nicht nur für den Leib,
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