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Hamburger, Hollywood & Highways

Titel: Hamburger, Hollywood & Highways Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Oliver Bachmann
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noch per Hand geschnitzt wird. Ich war beeindruckt.
    Nach der Vorstellung trafen sich Künstler wie Gäste im Hotel Gelston, gleich neben der Oper. Dort labten wir uns an Austern und Coconut Crusted Shrimps , und waren uns darin einig, dass man es auf dem Land prima aushalten konnte. Vor allem, weil New York nicht allzuweit weg war.
    Den Mann, der all diese Welten für sich einnahm, traf ich am nächsten Morgen. Ralph Crispino teilte sich seine Woche exakt ein: Von Montag bis Mittwoch arbeitete er in seiner Baufirma. Weil ähnlich wie Goodspeed sein Herz aber an der Förderung der Schönen Künste lag, hatte er die I-Park-Foundation ins Leben gerufen, eine Künstlerkolonie im Devils Hopyard State Park. Dort war er Donnerstags anzutreffen. Freitags bis Sonntags verbrachte er in New York, um die Batterien aufzuladen. Wir hatten uns in SoHo bei einer Vernissage kennen gelernt, und nun wollte er mir zeigen, was er in der Wildnis geschaffen hatte.
    Alleine hätte ich nie hergefunden. Wie im Schwarzwald führten kleine Sträßchen bergauf, bergab, durch dichte Wälder mit wenig Besiedelung. Anders als zuhause gabs aber keine Verkehrsschilder, und so kam ich mir vor wie bei der Durchquerung eines Labyrinths. Irgendwann öffnete sich der Wald, ein See blinkte herüber, und nicht weit von seinen Ufern lag eine Ansammlung dieser typischen Neuenglandhäuser, die einem gleich ein vertrautes Gefühl vermitteln. Das war die Künstlerkolonie I-Park. Hier trafen sich Schriftsteller, Komponisten, Maler, Bildhauer aus aller Welt, und, darauf legte Ralph viel Wert, auch Landart-Künstler. Wer schon einmal eine Arbeit von Andy Goldsworthy gesehen hat, weiß, zu welchen fantastischen Gebilden solche Leute fähig sind, und I-Park hatte sich zum Zentrum für Landart in den USA entwickelt. Platz dafür war genug, rund 200 Hektar Wiese und Weide, Baum und Fels standen zur Verfügung. Dazwischen mäanderte stillvergnügt der Fluss Eight-Mile-River . Ich verliebte mich sofort in die Gegend. In der man sich prächtig verlaufen konnte, was der Grund war, weshalb mir Ralph für meine Erkundungstour einen Führer zur Seite gab. John war das, was der Schwarzwälder Volksschriftsteller Heinrich Hans Jakob einen „Originalmenschen“ genannt hätte. Er kannte den Namen jedes Strauchs und die Geschichte jedes Grashalms, und weil er nicht gerade mundfaul war, kannte ich sie nach unserem Ausflug auch. Wir streiften durch die Wälder, und John erinnerte mich daran, dass vor 100 Jahren hier kaum ein Baum gestanden hatte.
    „War alles Weideland“, sagte er. „Ich zeig dir mal das älteste Farmhaus der Gegend. Das Haus der Willis.“
    Wir marschierten eine halbe Stunde querfeldein, was mir einen kleinen Einschub erlaubt: Das hier ist Stephen King-Land. Salem liegt um die Ecke, also der Ort, der den Meister des Horrors zum Roman „Brennen muss Salem“ inspiriert hatte. Ob er von der Geschichte der Willis weiß, bezweifle ich. Sonst wäre der nächste King-Thriller garantiert.
    Der Wald wurde dunkler, und auf einmal standen wir vor einem verfallenen Haus. Mit geübtem Auge konnte man noch die Grundmauern erkennen. Wer wie ich in der Fünfburgenstadt Schramberg aufgewachsen ist, wo auf jedem Hügel ein Kastell, eine Zitadelle oder eine Raubritterburg steht, kriegt so ein Auge mit in die Wiege gelegt. Von der Ruine weg zogen sich Steinmauern in alle Richtungen durch den Wald.
    „Hier lebten die Willis“, sagte John. „Vor dem Doppelmord.“
    Er führte mich zu einem Baum, der älter aussah wie die anderen.
    „Dieser Baum“, sagte er, „stand schon immer hier. Kannst du etwas erkennen?“
    Ein Gesicht, wollte ich sagen, aber ich ließ es sein. Wer will sich schon blamieren? Doch im Baum war ein Gesicht, kein Zweifel, und es sah nicht nach guter Laune aus.
    John war enttäuscht. „Siehst du kein Gesicht?“, wollte er wissen, und ich bekam ein, „doch, jetzt, wo du's sagst“ raus.
    Ich spähte umher. Wir waren alleine im großen Wald, und irgendwie kam das Gefühl von Rotkäppchen und dem Wolf auf.
    „Es ist“, sagte John, „das Gesicht von Mama Willis.“
    Vor einhundert Jahren hatte Mama Willis mit ihren Söhnen in größter Abgeschiedenheit gelebt. Der nächste Nachbar war ein entfernter Verwandter zwei Kilometer südlich über dem Hügel. Auch nach Westen hatte es ein paar Leute gegeben, in weit verstreuten Anwesen. Nach Süden und Osten kam das Gebiet des Devils Hopyard State Park, eine undurchdringliche Wildnis. In welcher der Teufel

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