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Hamburger, Hollywood & Highways

Titel: Hamburger, Hollywood & Highways Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Oliver Bachmann
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Holländer muckten auf, oder die Indianer, die eigentlichen Besitzer des Landes. Dann bauten sie ein Fort, und als das vollbracht war, fehlte nur noch ein ehrenvoller Name. Den fanden sie bei zwei Freunden des Earl, Viscount Seye and Sele und Lord Brooke, und tauften daher eines der ersten Städtchen der Neuen Welt Seye-Brook. Danach ging alles ganz flott. Die Siedler folgten der Empfehlung „seit fruchtbar und mehrt Euch“, und schon bald entstanden weitere Ortschaften wie Old Lyme, Westbrook, Chester, Essex, Deep River und East Haddam.
    Dort erblickte am 29. Dezember 1814 William Henry Goodspeed das Licht der Welt. Er war ein direkter Nachkomme von Roger Goodspeed, der zu den ersten Siedlern gehörte. Ohne es wahrscheinlich auch nur zu ahnen, verkörperte William alles, was einen echten Amerikaner ausmachen sollte: Er war ein guter Geschäftsmann, betrieb eine Bank und war Reeder auf dem Connecticut River. Doch seine heimliche Liebe gehörte der Kunst. Und weil die in East Haddam arg vernachlässigt wurde, baute Goodspeed ein Opernhaus am Ufer des Flusses, hübsch verschnörkelt im neo-barocken Stil. Das Goodspeed Opera House öffnete 1877 seine Pforten, gespielt wurde die Komödie Charles II. „Goodspeed's Folly“ tauften die Leute von East Haddam die Oper, „Goodspeeds Verrücktheit“. Nicht überliefert ist, ob Brian Sweeney Fitzcarraldo ein paar Tausend Kilometer weiter südlich im brasilianischen Dschungel von dieser Verrücktheit gehört hatte. Jedenfalls errichtete er kurze Zeit später ebenfalls eine Oper, die mit einer vielumjubelten „La Gioconda“ von Amilcare Ponchielli debütierte.
    Soweit kam es in East Haddam nie. Das Goodspeed Opera House ist das einzige Opernhaus der Welt, in der nie eine Oper gespielt wurde. Ganz amerikanisch, wandte man sich dem Musical zu und zählt mittlerweile zum wichtigsten Geburtshelfer des Broadway. Das kommt so: Bevor im Herzen von New York eine neue Produktion gewagt wird, zieht die Compagnie nach East Haddam und probiert die Sache vor dem Landvolk aus. Geht das gut, traut man sich zurück in die Stadt, ins Haifischbecken der Kritiker und Klatschkolumnisten.
    „Die Strategie funktioniert“, erzählte mir Dan McMahon. Er war Marketing-Direktor von Goodspeed, und ich hatte ihn um eine Backstage-Tour gebeten. „Wir sind das einzige Theater in den Staaten, das gleich zwei Special Tony Awards gewinnen konnte.“ Der Tony Award ist für die Musical-Branche, was der Oskar für die Filmleute ist.
    „Demnächst bringen wir die zwanzigste Produktion an den Broadway. Die meisten sind äußerst erfolgreich. „Man of La Mancha“ hat fünf Tonys kassiert, „Annie“ sogar sieben Auszeichnungen.“
    Aus Dan McMahon sprach echter Stolz. Konnte er auch haben. Ansonsten ist Amerikas countryside nicht gerade ein Hort der Kultur.
    „Warum wurde nie eine Oper gespielt?“, fragte ich.
    Dan lächelte. „Ich zeig’ dir den Grund“, sagte er. „Aber du musst den Kopf einziehen.“
    Wir kämpften uns durch ein Gestrüpp von Seilen, Gewinden und anderer Bühnentechnik, dann lagen die Bretter, die die Welt bedeuten, vor mir. Sie waren, um es mit einem Wort zu sagen, winzig.
    „Auf diesem Bierdeckel inszeniert ihr Musicals?“ Ich konnte es kaum glauben.
    „In den Orchestergraben passen grade Mal acht Musikanten“, sagte Dan. „Ein Musical kann man damit aufziehen. Eine Oper nicht.“
    Wir gingen weiter. Auch die Proberäume, die Garderoben, die Werkstatt: Amerikanisches think big war nicht bis ans Ufer des Connecticut Rivers gedrungen. Trotzdem konnte man es mit allen Konkurrenzbühnen des Landes aufnehmen. Ich war gespannt, wie das gehen sollte.
    Am Abend besuchte ich die Vorstellung „Pirates of Penzance“ von Sir William S. Gilbert und Sir Arthur S. Sullivan. Im Kino läuft die Geschichte unter dem Titel „Pirates Of The Caribbean“, und wie dort turnte ein Piratenkönig umher, der aussah wie Johnny Depp. Es war aber nicht Johnny Depp, sondern Andrew Varela, der außer spielen auch noch singen musste. Ich gebs zu, Musicals finden in mir nicht ihren größten Fan, aber ich hatte meinen Spaß. Rasant ging es zu auf der Bierdeckelbühne, und am Ende fuhr tatsächlich ein ausgewachsenes Piratenschiff ein. Ich hatte keine Ahnung, wie sie das hinkriegten. Normalerweise würde ich nach George Lucas und den Zauberlehrlingen von Industrial, Light & Magic Ausschau halten. Aber wir waren ja nicht in Hollywood, sondern auf der anderen Seite des Kontinents, im Theater, wo alles

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