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Hana

Hana

Titel: Hana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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auf der Straße sind als sonst, und es gibt Gerüchte, dass bald eine Razzia stattfinden soll. Mrs Hargrove, die einen Schal bei uns vorbeibringt, den meine Mutter vergessen hat, möchte dies weder bestätigen noch dementieren. Der Bürgermeister besteht darauf, sowohl im Fernsehen als auch bei einem weiteren Abendessen, diesmal im Golfklub, dass es kein Wiederaufleben der Krankheit gibt und keinen Grund zur Sorge. Aber die Aufseher, die ausgesetzte Belohnung und die Gerüchte über die Razzia sprechen eine andere Sprache.
    Tagelang ist noch nicht einmal die Rede von einem weiteren Untergrundtreffen. Jeden Morgen schmiere ich Abdeckcreme auf den Teufelskuss an meinem Hals, bis er schließlich heller wird und verschwindet, was mich gleichzeitig erleichtert und traurig zurücklässt. Ich habe Steve Hilt nirgendwo gesehen – weder am Strand noch bei Back Cove oder in Old Port – und Angelica ist distanziert und wachsam, obwohl sie es schafft, mir eine Nachricht zuzustecken, in der sie mir erklärt, dass ihre Eltern sie seit der Neuigkeit von Sarah Sterlings Erkrankung strenger unter Beobachtung halten.
    Fred nimmt mich mit zum Golfspielen. Ich kann nicht spielen, deshalb laufe ich hinter ihm her über den Platz, während er eine fast perfekte Runde hinlegt. Er ist charmant und höflich und tut halbwegs glaubhaft so, als interessierte er sich für das, was ich zu sagen habe. Wenn wir vorbeigehen, drehen sich die Leute nach uns um. Alle kennen Fred. Die Männer begrüßen ihn herzlich, fragen nach seinem Vater, gratulieren ihm zu seiner Partnerin, obwohl niemand ein Wort über seine erste Frau verliert. Die Frauen starren mich mit offenem und unverhohlenem Groll an.
    Ich kann mich glücklich schätzen.
    Ich ersticke.
    Aufseher bevölkern die Straßen.
    Lena ruft immer noch nicht an.
    Dann, an einem heißen Abend Ende Juli, ist sie plötzlich da: Sie stürmt auf der Straße an mir vorbei, den Blick fest auf den Bürgersteig gerichtet, und ich muss sie dreimal rufen, bevor sie sich umdreht. Sie bleibt ein Stück den Hügel hinauf stehen, mit ausdrucksloser – unergründlicher – Miene und macht keine Anstalten, auf mich zuzukommen. Stattdessen muss ich bergauf zu ihr laufen.
    »Was soll das denn?«, sage ich, als ich etwas atemlos näher komme. »Gehst du jetzt einfach an mir vorbei?« Die Frage war als Spaß gemeint, aber stattdessen klingt es anklagend.
    Sie runzelt die Stirn. »Ich hab dich nicht gesehen.«
    Ich möchte ihr glauben. Ich sehe zur Seite und beiße mir auf die Lippe. Ich fürchte, ich könnte gleich in Tränen ausbrechen – genau hier, in der flimmernden spätnachmittäglichen Hitze, mit Blick auf die Stadt, die sich wie eine Fata Morgana unterhalb von Munjoy Hill erstreckt. Ich möchte sie fragen, wo sie gewesen ist, und ihr sagen, dass ich sie vermisse und dass ich ihre Hilfe brauche.
    Stattdessen kommt aus meinem Mund: »Warum hast du mich nicht zurückgerufen?«
    Sie platzt gleichzeitig heraus: »Ich habe meine Partnerliste bekommen.«
    Das bringt mich aus der Fassung. Ich kann nicht glauben, dass das das Erste ist, was sie nach wochenlangem unerklärlichem Schweigen zu mir sagt. Ich schlucke all die Dinge herunter, die ich ihr sagen wollte, und bemühe mich um einen höflichen und desinteressierten Tonfall.
    »Hast du dir schon einen ausgesucht?«, frage ich.
    »Du hast angerufen?«, sagt sie.
    Wir haben schon wieder beide gleichzeitig gesprochen.
    Sie wirkt ehrlich überrascht. Andererseits war Lena schon immer schwer zu durchschauen. Die meisten ihrer Gedanken, die meisten ihrer wahren Gefühle sind tief verborgen.
    »Ich habe dir ungefähr drei Nachrichten hinterlassen«, sage ich und mustere ihr Gesicht aufmerksam.
    »Ich habe keine Nachrichten bekommen«, erwidert Lena schnell. Ich weiß nicht, ob sie die Wahrheit sagt. Lena hat schließlich immer wieder betont, dass wir nach dem Eingriff nicht mehr befreundet sein würden – unsere Leben wären zu verschieden, unsere gesellschaftlichen Kreise zu weit voneinander entfernt. Vielleicht hat sie beschlossen, dass die Unterschiede zwischen uns schon jetzt zu groß sind.
    Mir fällt wieder ein, wie sie mich bei der Party auf der Roaring Brook Farm angesehen hat – wie sie zurückgezuckt ist, als ich versucht habe, die Hand nach ihr auszustrecken, wie sie die Lippen zurückgezogen hat, als wäre ich verseucht. Plötzlich kommt es mir vor, als würde ich träumen. Ich träume von einem zu farbigen, zu lebendigen Tag, während hier und jetzt

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