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Hana

Hana

Titel: Hana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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angegriffen oder so was. Und als ich da so stehe, sind da plötzlich ungefähr hundert Kühe, die auf mich zugerannt kommen …« Er zuckt mit den Achseln. »Links von mir war dieses Treppenhaus. Ich bin durchgedreht und abgehauen. Ich bin mal davon ausgegangen, dass Kühe keine Treppen steigen.« Er lächelt wieder, diesmal flüchtig, vorsichtig. »Und so bin ich auf der Tribüne gelandet.«
    Eine völlig normale, vernünftige Erklärung. Ich bin erleichtert und habe jetzt weniger Angst vor ihm. Gleichzeitig rührt sich etwas in meiner Brust, ein dumpfes Gefühl, eine Enttäuschung. Und eine gewisse Sturheit, ein Teil von mir, der immer noch an ihm zweifelt. Ich sehe wieder vor mir, wie er auf der Tribüne stand, den Kopf lachend zurückgelegt; wie er mir zugezwinkert hat. Wie er gewirkt hat – amüsiert, selbstbewusst, glücklich. Überhaupt nicht verängstigt.
    Eine Welt ohne Angst …
    »Du weißt also nichts darüber, wie … wie es dazu kam?« Ich kann kaum glauben, dass ich mich das traue. Ich balle die Fäuste. Hoffentlich bemerkt er nicht, wie erstickt meine Stimme plötzlich klingt.
    »Die Verwechslung bei der Anlieferung, meinst du?« Er sagt es leichthin, ohne dass seine Stimme stockt oder bricht, und der letzte meiner Zweifel verschwindet. Genau wie jeder Geheilte stellt er die offizielle Version nicht in Frage. »Ich war an diesem Tag nicht für die Warenannahme zuständig. Sal, der Typ, der dafür verantwortlich war, wurde rausgeschmissen. Man muss die Ware eigentlich bei Anlieferung überprüfen. Ich nehme an, diesen Punkt hat er ausgelassen.« Er legt den Kopf schräg und streckt die Hände aus. »Zufrieden?«
    »Zufrieden«, sage ich. Aber der Druck in meiner Brust ist immer noch da. Obwohl ich vorhin noch unbedingt aus dem Haus rauswollte, wünschte ich jetzt, ich müsste nur blinzeln und wäre wieder in meinem Bett, würde die Decke von meinen Beinen streifen und mir bewusst werden, dass alles – die Party, die Begegnung mit Alex – nur ein Traum war.
    »Also …?« Er weist mit dem Kopf wieder Richtung Scheune. Die Band spielt irgendwas Lautes, Schnelles. Ich weiß nicht, warum ich die Musik vor kurzem noch gut fand. Jetzt kommt sie mir nur vor wie Lärm – tosender Lärm. »Meinst du, wir können näher ran, ohne zertrampelt zu werden?«
    Ich ignoriere die Tatsache, dass er gerade »wir« gesagt hat, ein Wort, das aus irgendeinem Grund unglaublich attraktiv klingt, wenn er es auf seine singende, lachende Art ausspricht. »Eigentlich wollte ich gerade gehen.« Mir wird klar, dass ich wütend auf ihn bin, ohne zu wissen, warum – vielleicht weil er nicht das ist, was ich in ihm gesehen habe. Obwohl ich eigentlich dankbar dafür sein sollte, dass er normal ist, geheilt und immun.
    »Du wolltest gehen?«, wiederholt er ungläubig. »Du kannst doch jetzt nicht nach Hause.«
    Ich achte immer darauf, mich nicht von Ärger und Zorn hinreißen zu lassen. Das kann ich mir bei Carol nicht erlauben. Ich schulde ihr so viel – und abgesehen davon fand ich es nach den paar Wutanfällen, die ich als Kind hatte, immer furchtbar, wenn sie mich tagelang von der Seite ansah; als würde sie mich analysieren und beurteilen. Ich wusste, was sie dachte: Genau wie ihre Mutter. Aber jetzt gebe ich nach und lasse die Wut in mir aufsteigen. Ich habe die Leute satt, die so tun, als wäre diese Welt – diese andere Welt – die normale und ich der Freak. Das ist unfair: Als wären alle Regeln plötzlich geändert worden und irgendjemand hätte vergessen, es mir zu sagen.
    »Das kann ich sehr wohl und das werde ich auch.« Ich drehe mich um und gehe den Hügel hoch, in der Annahme, dass er mich dann in Ruhe lässt. Zu meiner Überraschung tut er das nicht.
    »Warte!« Er rennt hinter mir den Berg hoch.
    »Was machst du da?« Ich wirbele zu ihm herum – erneut erstaunt, wie selbstsicher ich klinge, wenn man bedenkt, dass mein Herz rast und stolpert. Vielleicht liegt darin das Geheimnis, wie man mit Jungen redet – vielleicht muss man einfach die ganze Zeit wütend sein.
    »Wieso?« Wir sind beide etwas außer Atem vom Bergauflaufen, aber er bringt trotzdem noch ein Lächeln zu Stande. »Ich will nur mit dir reden.«
    »Du verfolgst mich.« Ich verschränke unwillkürlich die Arme, wie um den Raum zwischen uns zu versperren. »Du verfolgst mich schon wieder .«
    Das war’s. Er geht ein paar Schritte zurück und ich verspüre eine kurze, boshafte Freude darüber, dass ich ihn überrumpelt habe. »Schon

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