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Hana

Hana

Titel: Hana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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noch in Erinnerung behalten, falls ich überhaupt etwas in Erinnerung behalte?
    Das erste Mal, als Fred Hargrove mich auf die Wange küsst; seine Lippen fühlen sich trocken auf meiner Haut an.
    Wie ich mit Lena ein Wettrennen zu den Bojen am East End Beach mache; die Art, wie sie lächelt, als sie mir gesteht, dass sie dasselbe mit Alex gemacht hat; bei der Rückkehr zum Strand stelle ich fest, dass meine Limo warm, dickflüssig und ungenießbar geworden ist.
    Angelica nach ihrem Eingriff zu sehen, wie sie ihrer Mutter dabei hilft, die Rosen im Vorgarten zu beschneiden; die Art, wie sie fröhlich lächelt und winkt, ohne mich anzusehen, als wäre ihr Blick auf einen imaginären Punkt über meinem Kopf gerichtet.
    Steve Hilt überhaupt nicht mehr zu begegnen.
    Und Gerüchte, hartnäckige Gerüchte: von Invaliden, der Widerstandsbewegung, der Krankheit, die um sich greift, sich mit ihrer Schwärze unter uns ausbreitet. Straßen, die täglich mit mehr und mehr Flugblättern gepflastert sind. Belohnung, Belohnung, Belohnung.
    Belohnung für Informationen.
    Wenn Sie etwas sehen, sagen Sie etwas.
    Eine Stadt aus Papier, eine Welt aus Papier: Papier, das im Wind raschelt, mir zuflüstert, eine giftige und eifersüchtige Botschaft zischt.
    Wenn Sie etwas wissen, handeln Sie.
    Es tut mir leid, Lena.

Leseprobe:
    delirium
    D
ie Scheune ist zum Himmel und zur Nacht hin offen. In ihr glüht es weiß vom Licht und sie erinnert mich an eine gewölbte Hand, die eine kleine Flamme birgt.
    »Lena!«
    Es ist eigenartig, dass ich die Stimme sofort erkenne, obwohl ich sie erst ein einziges Mal für zehn, höchstens fünfzehn Minuten gehört habe – es ist das Lachen, das sie begleitet, wie wenn sich jemand in einer öden Unterrichtsstunde zu dir rüberbeugt, um dir ein richtig gutes Geheimnis zu verraten. Alles erstarrt. Das Blut hört auf, durch meine Adern zu strömen. Mein Atem hört auf zu fließen. Einen Augenblick verstummt sogar die Musik. Alles, was ich höre, ist ein leises und regelmäßiges, angenehmes Geräusch, wie das entfernte Schlagen einer Trommel, und ich denke: Ich höre mein Herz. Allerdings weiß ich, dass das nicht sein kann, weil mein Herz auch erstarrt ist. Mein Blick wird wie durch den Zoom einer Kamera wieder scharf und ich sehe nur Alex, der sich durch die Menge hindurchzwängt und auf mich zukommt.
    »Lena! Warte.«
    Kurz blitzt Panik in mir auf – eine wirre Sekunde lang denke ich, er muss als Mitglied einer Patrouille hier sein und es gibt eine Razzia oder so was –, aber dann sehe ich, dass er normal gekleidet ist, in Jeans, seinen abgewetzten Turnschuhen mit den tintenblauen Schnürsenkeln und einem ausgeblichenen T-Shirt.
    »Was machst du denn hier?«, stammele ich, als er mich eingeholt hat.
    Er grinst. »Ich freue mich auch, dich zu sehen.«
    Er lässt einen knappen Meter Abstand zwischen uns, worüber ich froh bin. So kann ich im Halbdunkel die Farbe seiner Augen nicht erkennen und gerade jetzt darf ich mich nicht ablenken lassen, darf ich ein Gefühl wie bei den Labors nicht zulassen, als er sich vorbeugte, um mir etwas zuzuflüstern – dieses klare Bewusstsein, dass sein Mund nur wenige Zentimeter von meinem Ohr entfernt war, die Angst, die Schuldgefühle und die Aufregung zugleich.
    »Ich mein es ernst.« Ich gebe mir alle Mühe, ihn mürrisch anzusehen.
    Sein Lächeln wird schwächer, verschwindet jedoch nicht ganz. Er bläst Luft zwischen den Lippen hervor. »Ich bin wegen der Musik hier«, sagt er. »Wie alle anderen auch.«
    »Aber du kannst doch nicht …« Ich versuche Worte zu finden, unsicher, was ich eigentlich sagen will. »Aber das hier ist …«
    »Illegal?« Er zuckt die Achseln. Eine Haarsträhne kringelt sich vor seinem linken Auge, und als er sich umdreht, um den Blick über die Party schweifen zu lassen, bricht sich das Licht von der Bühne darin und sie funkelt in diesem verrückten Goldbraun. »Es ist in Ordnung«, sagt er leiser, so dass ich den Kopf vorschieben muss, um ihn über die Musik hinweg hören zu können. »Niemand tut jemandem was.«
    Das weißt du nicht, will ich gerade sagen, aber in seinen Worten schwingt eine Spur Trauer mit und ich halte inne. Alex fährt sich mit einer Hand durch die Haare und ich erkenne die kleine dunkle, dreizackige Narbe hinter seinem linken Ohr, vollkommen symmetrisch. Vielleicht trauert er nur dem nach, was er durch den Eingriff verloren hat. Musik bewegt die Menschen zum Beispiel nicht mehr so wie vorher, und auch wenn er

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