Hand in Hand in Virgin River
bringen, aber Lief hatte darauf bestanden, sie abzuholen. Er wollte Ambers Eltern kennenlernen und sich vermutlich vergewissern, dass sie keine Satanisten oder Serienkiller waren.
Also – Ambers Eltern waren viel älter als Courtney erwartet hatte. Sie waren Großeltern. Eigentlich hätte Courtney es ahnen können, weil Ambers ältere verheiratete Brüder schon mit dem College fertig waren und im „Familienbetrieb“ arbeiteten. Und für ältere Menschen waren sie sehr schräg – sie zuckten nicht mal mit der Wimper bei Courtneys Aufzug.
Zuerst begrüßte sie Ambers Mutter in der warmen Küche, in der es lecker duftete. Die Frau trug weite Jeans, die sie in ihre Gummistiefel gesteckt hatte, und ihr graues Haar war irgendwie überall. „Wie geht es dir?“, fragte Ambers Mutter. „Ich bin Sinette Hawkins. Es ist so nett von dir, Amber bei den Matheaufgaben zu helfen. Ich vermute, dass Hawk und ich inzwischen viel zu alt für diesen neuen Mathekram sind. Und ihre Brüder sind damit beschäftigt, ihren eigenen Kindern zu helfen.“
„Es macht mir nichts aus“, erwiderte Courtney.
„Bist du sicher, dass dein Vater nicht mit uns zu Abend essen möchte?“, erkundigte sich Sinette. „Denn wir kochen immer mehr als wir essen können. Ich tue das absichtlich – falls jemand vorbeischaut, und Hawk mag ein warmes Mittagessen, deshalb hebe ich die Reste immer auf.“
Ah, das erklärt, weshalb Amber etwas pummelig war, schoss es Courtney durch den Kopf. „Nein. Er hat gesagt, dass er noch etwas vorhat.“
Und genau in dem Moment rollte ein Kind im Rollstuhl in die Küche. Amber stellte ihn als ihren Neffen Rory vor. Er war erst acht und hatte eine Brille mit dicken Gläsern auf der Nase sitzen, doch er manövrierte seinen Stuhl wie eine Corvette. „Ich bin jetzt bereit, für das Diktat zu lernen“, erklärte Rory. „Amber, willst du mit mir üben?“
„Ich kann nicht, Rory. Ich muss mit Courtney Schularbeiten erledigen. Sie ist den ganzen Weg zu mir gekommen, weil sie mir bei Mathe hilft.“
„Wie lange dauert das Üben denn?“, wollte Courtney wissen.
„Vielleicht fünfzehn Minuten“, antwortete Amber achselzuckend. „Er wird bestimmt alles richtig machen.“
„Dann lass uns mal anfangen“, sagte Courtney und erkannte sich selbst kaum wieder. Aber er sitzt im Rollstuhl, dachte sie. Und nicht mal das befreit einen von den Hausaufgaben?
Während der Schularbeiten fand Courtney heraus, dass Rory an einer Muskeldystrophie litt. Als sie fragte, ob er seinen Rollstuhl bald nicht mehr brauchen würde, antwortete Amber: „Es ist unheilbar. Noch.“ Courtney hatte Angst, noch mehr Fragen zu stellen. Nach den Hausaufgaben liefen sie hinaus zum Stall, wo Ambers Familie eine Kuh und zwei Pferde hielt. Außerdem gab es Hühner, ein paar Ziegen und einige Hunde, von denen einer sich sehr langsam zu bewegen schien. „Die Familie hat gerade eine Wette laufen – möchtest du dich beteiligen? Beim letzten Wurf waren es sieben Welpen.“
Courtney setzte auf neun.
Hawk, Ambers Vater, war ein dünner alter Farmer. Sie trafen ihn beim großen Gemüsegarten, wo er dabei war, seinen Traktor mit einem Wasserschlauch abzuspritzen. Es war schwer zu sagen, ob sein Name nur eine Abkürzung des Nachnamens war oder auf seine Adlernase anspielte. Ambers Dad ging ein wenig gebeugt, allerdings war er kräftig, als ob er viele Jahre sehr hart gearbeitet hatte. Und als man ihm Courtney vorstellte, entpuppte er sich als ein bisschen merkwürdig.
„Ich habe mich so auf dich gefreut“, meinte er und streckte die schwielige Hand aus. „Ich bin fast gestorben vor Neugier auf deine Frisur!“
„Papa!“, schimpfte Amber, ganz offensichtlich entsetzt.
„Was? Stimmt doch. Das soll eine Art Bekenntnis sein, oder?“
Courtney lachte. „So in der Richtung.“
„Courtney“, sagte Amber flehend. „Er hat mir geschworen, dass er sich nicht lustig machen würde.“
„Ich mache mich nicht lustig“, protestierte ihr Vater. „Ich überlege halt nur, wie es sich anfühlt. Darf ich es mal anfassen?“
„Es sind nur Haare“, meinte Courtney und hielt ihm den Kopf hin.
„So fühlt sich so etwas also an. Jetzt muss ich nur mal fragen – was dein Dad gesagt hat, als er das zum ersten Mal zu Gesicht gekriegt hat?“
„Er ist total ausgeflippt“, antwortete sie beinahe stolz.
Und Hawk lächelte wissend. „Wusste ich doch, dass es einen Grund dafür gibt.“
Als sich vor Lief das Fenster der Möglichkeiten öffnete –
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