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Hand und Ring

Titel: Hand und Ring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kathrine Green
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Bildungstrieb mehr und mehr erwachte, lernbegierig, unverdrossen, bereit auf alle seine Erklärungen und Beweisführungen einzugehen. Zwischen jenen Stunden aber, welche sie seiner Aufforderung folgend, bei ihm im Studierzimmer zubrachte, aus seinen Büchern lesend und lernend, und der weit gefährlicheren Zeit, da er sie im Wohnzimmer aufsuchte, an ihrer Seite saß und nicht in Büchern, sondern in ihren Augen zu lesen suchte, lag ein langer, harter Kampf.
    Orkutt liebte sie. Aber so heftig die Leidenschaft auch sein Herz ergriffen hatte, er hielt den Gedanken an eine Heirat lange Zeit von sich fern. Sie sollte seine Tochter werden, die Erbin seines Vermögens, seine Stütze im Alter. Dieser Entschluß war jedoch nur von kurzer Dauer. Imogen kam von einem Besuch in Buffalo zurück, wohin er sie geschickt hatte, als sein innerer Zwiespalt allzustark wurde, und er erkannte gleich beim ersten Wiedersehen klar und deutlich, daß jene Absicht unausführbar sei. Sie mußten einander als Gatten angehören, oder es galt, die Verbindung zwischen ihnen ein für allemal abzubrechen.
    Es war ein einziger Blick ihrer Augen, der ihn so völlig besiegt hatte, ein verschämter, fast demütiger, entzückender Blick, dem er nicht zu widerstehen vermochte. Aeußerlich blieb sein Wesen zwar unverändert, aber von jener Stunde an gab es für ihn kein Zweifeln und Zaudern mehr; sie sein eigen zu nennen, war allein noch Ziel und Zweck seines Lebens.
    Ihr gegenüber schwieg er jedoch noch immer. Es lag in ihrem Wesen etwas Rätselhaftes, ihm Unverständliches,das sie von allen andern Frauen unterschied. Nach ihrer kurzen Abwesenheit von seiner Seite schien ihm dieser dunkle Zug noch stärker hervorzutreten als früher. Ob er Gutes oder Böses bedeute, wußte er nicht; aber die Ungewißheit zwang ihn, auf seiner Hut zu sein. Als er dann endlich doch im Drange des Augenblicks seine Gefühle offenbarte, und der Schleier zerriß, der ihr seine Leidenschaft bis dahin verhüllt hatte, sprach er daher keinen bestimmten Wunsch und Plan aus und sagte ihr nicht, daß er sie zum Weibe begehre.
    Die Wirkung seines Geständnisses war anders, als er erwartet hatte. Imogen schien völlig überrascht und bekannte, ihr sei der Gedanke, daß er sie auf solche Weise auszeichnen könne, noch nie gekommen; die folgenden zwei Tage schloß sie sich in ihr Zimmer ein und wollte weder ihn, noch seine Schwester empfangen. Als sie wieder zum Vorschein kam, war sie zwar blühend wie eine Rose, aber gemessener und zurückhaltender in ihrem Benehmen als zuvor, unergründlicher denn je. Die stolze, weibliche Würde, mit der sie sich umgab, hinderte jede vertrauliche Annäherung und machte den Verkehr mit ihr bald unwiderstehlich anziehend, bald peinlich und gezwungen.
    Sie wartet auf einen bestimmten Antrag, dachte Orkutt bei sich.
    So standen die Dinge damals, während man in den Bekanntenkreisen bereits auf eine bestimmte Entscheidung und Verlobung wartete. Da trat, wie schon berichtet, das schreckliche Ereignis ein und zeigte ihm das Mädchen in einem ganz neuen Lichte. War es möglich, daß Imogen auf eine ihm unbegreifliche Weise dem Geheimnis auf die Spur gekommen war, welches das furchtbare, verwegene Verbrechen umhüllte?
    Er hätte den Gedanken als völlig widersinnig sofort von sich gewiesen, wäre des Mädchens Auftreten in derWitwe Haus weniger unpassend und unerklärlich gewesen. Dazu kam noch der Umstand, daß er allen Grund zu der Annahme hatte, jener Ring gehöre ihr in Wahrheit nicht , obwohl sie ihn vor aller Welt als ihr Eigentum anerkannte. Bei dem rätselhaften Ausruf der Sterbenden: »Ring! Hand!« hatte er sie einen schnellen Blick voll Angst und Entsetzen auf das Juwel werfen sehen. Kannte sie dessen Eigentümer? Argwöhnte sie vielleicht, wer den Ring am Finger getragen hatte, bevor sie ihn an ihre eigene Hand steckte? –
    Orkutt hatten alle diese Fragen von vornherein mit banger Unruhe erfüllt; war es da zu verwundern, wenn er nicht ohne Schrecken inne wurde, daß Imogens Benehmen auch andern aufgefallen war, wenn ihn nach der Unterredung mit dem Detektiv ein namenloses Grauen überfiel?
    Er stand jetzt vor seiner Gartenpforte. Als er sie öffnete, sah er zu seiner größten Bestürzung Fräulein Dare im Reiseanzug mit einer Handtasche am Arm ihm entgegenkommen.
    Imogen, rief er, was soll das bedeuten? Wo wollen Sie hin?
    Ihr Gesicht, das sie ihm langsam zuwandte, trug einen unnatürlich gespannten Ausdruck. Ich fahre nach Buffalo, sagte

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