Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hand und Ring

Titel: Hand und Ring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kathrine Green
Vom Netzwerk:
sie.
    Nach Buffalo! – Also wollte sie die Stadt verlassen, plötzlich, ohne den Grund anzugeben; das ließ Raum für die schlimmsten Befürchtungen. – Und weshalb diese unerwartete Abreise? fragte er in heftiger Bewegung.
    Eine Nachricht, die ich erhalten habe, ist die Veranlassung. Ich muß fort. Einer von – von meinen Bekannten ist krank. Halten Sie mich nicht auf!
    Seine Hand, die auf der Türklinke lag, zitterte, aber er machte keine Anstalt, dem Fräulein den Weg freizugeben.
    Verzeihen Sie, Imogen, sagte er, aber ich kann Sienicht fortlassen, bevor ich Sie gesprochen habe. Folgen Sie mir ins Haus, es soll nicht lange währen!
    Mit zerstreuter Miene schüttelte sie langsam und traurig den Kopf.
    Es ist zu spät, murmelte sie, ich werde den Zug verfehlen, wenn ich noch länger zögere.
    Wir müssen es darauf ankommen lassen, rief er voll Bitterkeit, in der Qual des Augenblicks alles andere vergessend. Was ich zu sagen habe, leidet keinen Aufschub. Kommen Sie!
    Der gebieterische Ton aus dem Munde dessen, der bisher jeden ihrer Wünsche als Befehl angesehen hatte, war ihr neu. Aber sie besann sich, blickte ihn an, als verstehe und ehre sie sein Gefühl und erwiderte ruhig, wenn auch mit erbleichenden Wangen:
    Sie haben recht, Ihr Anspruch geht vor. Ich will die Reise bis morgen aufschieben. Damit schritt sie ihm voran ins Haus und stellte ihre Tasche auf einem Tischchen ab.
    Im Bibliothekzimmer setzten sie sich einander gegenüber. Die innere Erregung, in der sich Orkutt befand, gab seiner Stimme einen rauhen, fast strengen Klang, als er anhub:
    Nun sagen Sie mir, Imogen, warum Sie mein Haus verlassen wollen?
    Sie blieb kalt und unbeweglich wie ein Marmorbild. Ich habe es ja bereits gesagt, entgegnete sie in sanfterem Tone, als er erwartet hatte, eine Nachricht, die ich erhalten habe, ruft mich nach Buffalo, aber nur auf wenige Tage.
    Er hielt dies für eine leere Ausflucht. So gedenken Sie hierher zurückzukehren? fragte er, sich mühsam zur Ruhe zwingend.
    Natürlich, versetzte sie überrascht. Hier ist ja meine Heimat.
    Die Worte fielen ihm wie ein Hoffnungsstrahl in dieSeele; ihre Hand ergreifend, blickte er sie lange und forschend an.
    Imogen, rief er endlich, sagen Sie mir, was für eine Last auf Ihrem Herzen liegt! Machen Sie mich zum Vertrauten Ihres Kummers. Was hat diese völlige Veränderung in Ihnen bewirkt seit dem schrecklichen Ereignis heute mittag?
    Sein Flehen war vergeblich. Ihre Miene belebte sich nicht, ihr Wesen war nur noch verschlossener.
    Ich habe Ihnen nichts mitzuteilen, sagte sie.
    Nichts? – Er ließ ihre Hand los und saß in tiefes Sinnen versunken da. Zwischen ihnen lag ein unheilvolles Geheimnis; es betraf das heute verübte Verbrechen, darüber war kein Zweifel. Aber wie sollte er, ohne ihr zu nahe zu treten, ohne ihre Würde zu verletzen, sie dazu bewegen, dies einzugestehen und ihm den Schlüssel ihres Innern auszuliefern?
    Sie mit Fragen zu bestürmen – das sah er wohl – war ein nutzloses Beginnen. Selbst wenn er es über sich vermocht hätte, seinen Befürchtungen Worte zu verleihen, so sagten ihm doch ihre starren, unbeugsamen Mienen nur zu deutlich, daß jeder derartige Versuch mißlingen oder nur dazu dienen werde, ihn in ihren Augen verächtlich zu machen. Er mußte ein anderes Mittel ergreifen, mußte sich auf der Stelle von dem furchtbaren Druck befreien, der ihm auf der Seele lastete; doch durfte er um keinen Preis dabei die Liebe aufs Spiel setzen, die jetzt mehr als je das tiefste Bedürfnis seines Lebens geworden war.
    Trotz all seines Scharfsinnes, all seiner Weltklugheit fand er nur einen Ausweg. Er wollte ihr seine Hand antragen, wollte sie zum Weibe begehren – noch diesen Augenblick. An der Art, wie sie dies aufnehmen werde, hoffte er zu erkennen, welcherlei Gedanken und Gefühle sie im Busen hege. Zeigte sie sich ihm willfährig, gab sie auch nur vonferne zu verstehen, daß ihr seine Werbung nicht unwillkommen sei, so meinte er sich fest darauf verlassen zu können, daß kein wirkliches Unrecht, kein unseliges, entwürdigendes Geheimnis, kein Argwohn, der ihren Frieden bedrohte, zwischen ihnen lag. Wie rätselhaft ihm dies ungewöhnliche Mädchen auch zu Zeiten erscheinen mochte, seine Ueberzeugung von der Ehrenhaftigkeit ihrer Gesinnung war unerschütterlich.
    Sich innerlich gewaltsam zusammenraffend, um gerüstet zu sein, welches auch der Erfolg seiner Werbung sein möge, zog er sie sanft an sich.
    Sie wollen mir Ihr Vertrauen nicht schenken, Imogen,

Weitere Kostenlose Bücher