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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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unsichtbares Zeichen, das die Leute entziffern konnten?
    Er strampelte weiter und hielt den Schirm nicht mehr ganz so fest. Der Regen fiel jetzt sanfter. In dem Gewirr alter Gassen, das der planvoll symmetrischen Anlage der Stadt vorausgegangen war, kam er an gezimmerten Lagerhäusern und alten Marktplätzen vorbei, die mit Fabrikschrott übersät waren. Maschinen – deren Zweck er nicht einmal er raten konnte – rosteten vor sich hin, und rötliche Schlieren zogen sich über das Kopfsteinpflaster.
    Die Menschenmenge dünnte sich aus. Aus den Schornsteinen zeigten krumme Rauchfinger auf die Wolken. Über den Straßen hingen tropfend leere Wäscheleinen, und ein paar hell beleuchtete Fenster kämpften mit ihrem Lichtschein gegen die beharrliche Düsternis des Tages an. Unwin erhöhte das Tempo, wobei ihm Sivarts Beschreibungen, die er noch in Erinnerung hatte, zur Orientierung dienten, und erreichte schließlich den Friedhof von Saints’ Hill, eine sechs Hektar große Grünfläche, die aus Gestrüpp, zwielichtigen Wegen, überwucherten Hügelkämmen und eingestürzten Grabmälern bestand.
    Das
Letzte Nickerchen
, ein niedriges Gebäude aus bröckelndemgrauen Stein an der südöstlichen Ecke des Blocks, lag unterhalb des Leichenschauhauses. Er hatte halbwegs gehofft, dass es die Kneipe gar nicht wirklich gab, doch die verwitterten Stufen, die vom Gehweg hinab in den Keller führten, waren äußerst real. Er kettete sein Fahrrad unter dem Dachvorsprung des Gebäudes an den Friedhofszaun an.
    Oben an der Treppe war das Klacken von Billardkugeln und Gläserklirren zu hören. Er konnte, wenn er wollte, immer noch nach Hause gehen, den Rest des Tages verschlafen und auf den nächsten hoffen und darauf, dass sich vielleicht alles von selbst regelte. Doch in diesem Moment wurde auf Höhe des Gehwegs knirschend ein Fensterchen geöffnet, und jemand schaute zu ihm hoch. Dabei verzog er die Nase schnuppernd wie ein Hase, der Unwins Fährte aufnehmen wollte. Ein Paar große, rot unterlaufene braune Augen blinzelten hinter dem Glas hervor.
    «Rein oder raus?», rief der Mann von unten.
    Es war zu spät, einen Rückzieher zu machen. Unwin begann, den schmalen Treppenschacht hinabzusteigen und klappte den Schirm gerade rechtzeitig zusammen, um hindurchschlüpfen zu können. Am Fußende der Treppe befand sich ein verstopfter Abfluss, Zigarettenkippen dümpelten in der Pfütze, die sich darüber gebildet hatte. Mit der Schirmspitze drückte Unwin die Tür auf, machte einen großen Schritt über das schmutzige Wasser hinweg und betrat das
Letzte Nickerchen
.
    Die Tische waren nur von Kerzen erhellt, während der Tresen, der zum Friedhof hin lag, von mehreren Fenstern unterhalb der Decke profitierte, durch die ein grünliches Licht über die Schnapsflaschen tröpfelte. Die meisten Flaschen waren auf den Regalbrettern eines hohen, länglichen Schrankes arrangiert, dessen Türen offen standen.
    Kein Schrank, bemerkte Unwin. Ein Sarg.
    In der Nähe des Eingangs hockten zwei Männer, die Hüte vor sich auf dem Tisch, und waren über einer flackernden Kerze in ein Gespräch vertieft. Weiter hinten im Schankraum hing eine Glühbirne mit grünem Lampenschirm tief über dem Billardtisch. Zwei weitere Männer, sehr groß und in identischen schwarzen Anzügen, waren mitten im Spiel. Sie spielten sehr langsam und ließen sich für jeden Stoß viel Zeit.
    Sivart war nirgendwo zu sehen. Unwin nahm am Tresen Platz und stellte die Aktentasche vor sich hin. Der Mann, der ihn durch das Fensterchen angesprochen hatte, schloss es mit Nachdruck, befreite seine Hände ausgiebig vom Staub und sprang von dem Fass herunter, auf das er geklettert war, um ans Fenster zu gelangen. Während er näherkam, fuhr er mit der Hand über den Tresen und hob dabei eine zusammengefaltete Zeitung auf. «Da drin steht, dass es in der Agentur nicht mit rechten Dingen zugeht», sagte er. «Eine interne Geschichte, heißt es. In der Chefetage haben sie einen ihrer eigenen Schnüffler in Verdacht.»
    Eine einzelne schwarze Locke hing dem Mann wie ein umgedrehtes Fragezeichen in die Stirn. Das war Edgar Zlatari, der Wärter des Friedhofs und sein einziger Totengräber. Solange es keine Toten zu bestatten gab, servierte er den Lebenden etwas zu trinken. Er war jemand, der vieles wusste, ein Sammler von nützlichen Informationen.
    «Neue Gesichter, neuer Kummer, so heißt es doch», fuhr Zlatari fort. «Und was ist mit dir, mein Freund? Stehst du mit deinen Sorgen auf Du und Du?

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