Handyman Jack 01 - Die Gruft
drehte es gegen den Uhrzeigersinn. Er erwartete beinahe ein lautes Kreischen, das im ganzen Schiff zu hören wäre und ihn verraten würde. Aber stattdessen gab es nur ein sanftes Kratzen und ein leises Quietschen. Als er das Rad bis zum Anschlag gedreht hatte, schwang er sachte die Tür auf.
Der Gestank war fast wie ein körperlicher Schlag, der ihn nach hinten schleuderte. Der gleiche Verwesungsgestank, den er zwei Nächte hintereinander in seiner Wohnung wahrgenommen hatte, nur hundert, tausendmal schlimmer, griff nach ihm und presste sich auf sein Gesicht wie der Handschuh eines Grabräubers.
Jack würgte und kämpfte mit dem Drang, sich umzudrehen und davonzulaufen. Das war es! Das war die Quelle, der Ursprung des Gestanks. Jetzt würde er erfahren, ob die Augen, die er vor seinem Fenster gesehen hatte, real waren, oder er sie sich tatsächlich nur eingebildet hatte. Er durfte sich nicht von einem Geruch, wie übel er auch sein mochte, in die Flucht schlagen lassen.
Er zwang sich dazu, durch das Schott in einen engen, dunklen Korridor zu treten. Die klamme Luft lastete auf ihm. Die Wände des Korridors verschwanden über ihm im Dunkeln. Und mit jedem Schritt wurde der Gestank intensiver. Er konnte ihn in der Luft schmecken, fast mit den Händen greifen. Schwaches, flackerndes Licht war ein paar Meter vor ihm zu sehen. Jack kämpfte sich darauf zu und kam dabei an kleinen, zimmergroßen Ladebuchten auf beiden Seiten vorbei. Sie schienen leer zu sein – wenigstens hoffte er das.
Der Gesang, den er vorher gehört hatte, war verstummt, aber er hörte raschelnde Geräusche vor sich, und als er sich dem Licht näherte, hörte er eine Stimme, die in einer fremden Sprache sprach.
Ich wette, Hindi.
Er rückte langsamer vor, als er sich dem Ende des Korridors näherte. Vor ihm öffnete sich ein größerer Raum mit etwas besserem Licht. Er hatte sich vom Heck voran bewegt. Nach seiner groben Schätzung könnte er sich jetzt vor dem Hauptladeraum befinden.
Der Gang mündete in der Steuerbordseite des Frachtraums. Auf der anderen Seite klaffte eine entsprechende Öffnung in der Wand, zweifellos ein ähnlicher Gang in den vorderen Frachtraum. Jack erreichte das Ende und spähte vorsichtig um die Ecke. Was er da sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.
Die hohen eisernen Wände erstreckten sich schwarz in die Höhe und verschwanden im Dunkel. Wilde Schatten tanzten über sie hinweg. Glitzernde Wassertropfen hatten sich auf den öligen Oberflächen gebildet und spiegelten das Licht von den beiden fauchenden Gasbrennern auf einer erhöhten Plattform auf der anderen Seite des Lagerraums. Die Wand dort drüben hatte eine andere Farbe: Sie war blutrot und darauf war mit schwarzer Farbe die gewaltige Figur einer vielarmigen Göttin gemalt. Und zwischen den beiden Gasfackeln stand Kusum, nackt bis auf eine Art langen Schal, den er sich um den Körper geschlungen hatte. Er trug nicht einmal seine Halskette. Seine linke Schulter, wo er seinen Arm verloren hatte, war entsetzlich vernarbt. Er hatte den rechten Arm erhoben, während er in seiner Muttersprache zu der Versammlung vor sich sprach.
Aber es war nicht Kusum, der Jacks Aufmerksamkeit in einem Schraubstock hielt, der seine Kiefermuskeln vor Anstrengung verzerrte, nicht vor Entsetzen aufzuschreien, und der ihn in panischer Angst Halt an den glatten Schiffswänden suchen ließ.
Es war seine Zuhörerschaft. Fünfzig oder sechzig Gestalten mit kobaltblauer Haut, alle zwei Meter groß und größer, hatten sich in einem Halbkreis um Kusum versammelt. Jede hatte einen Kopf, einen Rumpf, zwei Arme und zwei Beine – aber sie waren nicht menschlich. Nicht einmal annähernd. Ihre Proportionen, die Art, wie sie sich bewegten, alles an ihnen war falsch. In ihnen verschmolz die Grausamkeit eines Raubtiers mit einer reptilischen Grazie. Sie waren Reptilien, aber mehr als das, menschenähnlich, aber weniger als das … eine unselige Mischform gepaart mit einem dritten Zweig, der niemals, nicht mal im wildesten Fieberwahn, mit etwas von dieser Erde in Verbindung gebracht werden konnte. Jack bemerkte das Glitzern von Fangzähnen in den breiten, lippenlosen Mäulern unter den stumpfen, haifischartigen Schnauzen, das Funkeln von Klauen am Ende der dreifingrigen Hände und das gelbe Glühen ihrer Augen, die sie auf Kusums tobende, gestikulierende Gestalt gerichtet hatten.
Neben dem Schock und dem Abscheu, die seinen Verstand lähmten und seinen Körper erstarren ließen,
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