Handyman Jack 01 - Die Gruft
ist mir deinen Händen passiert?«
Er gab keine Antwort. Stattdessen ging er an ihr vorbei ins Wohnzimmer und ließ sich auf die Couch fallen. Erblickt sie nicht an, als er mit ausdrucksloser Stimme erzählte.
»Ich bin Kusum von den Vereinten Nationen zu diesem Schiff an der Westside gefolgt… ein großes Schiff, ein Frachter. Ich habe gesehen, wie er in einem der Laderäume so etwas wie eine Zeremonie mit diesen«, seine Gesicht verzerrte sich bei der Erinnerung, »diesen Kreaturen abgehalten hat. Sie hielten alle rohe Fleischfetzen hoch. Ich glaube, es war menschliches Fleisch. Und ich glaube, ich weiß auch, wessen Fleisch das war.«
Die Kraft rann aus Kolabati heraus wie Wasser, das durch den Ausguss gurgelt. Sie musste sich an der Wand festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Es war wahr! Rakoshi in Amerika! Und Kusum steckte dahinter – er hatte die alten, vergessenen Riten wieder ausgegraben, die besser verschollen geblieben wären. Aber wie? Das Ei war im Zimmer nebenan!
»Ich dachte, du wüsstest vielleicht etwas darüber«, sagte Jack. »Schließlich ist Kusum dein Bruder und ich dachte …«
Sie hörte ihn kaum.
Das Ei…
Sie stieß sich von der Wand ab und steuerte auf Kusums Schlafzimmer zu.
»Was ist los?«, fragte Jack und sah sie schließlich doch an. »Wo willst du hin?«
Kolabati antwortete nicht. Sie musste das Ei noch einmal sehen. Wie konnte es Rakoshi geben, wenn das Ei noch da war? Es war das letzte verbliebene Ei. Und selbst das reichte nicht aus, um eine neue Brut zu züchten – dazu brauchte man auch einen männlichen Rakosh.
Es konnte einfach nicht sein!
Sie öffnete den Schrank in Kusums Zimmer und zog die rechteckige Kiste hervor. Sie war so leicht. War das Ei verschwunden? Sie öffnete den Deckel. Nein … das Ei war immer noch da, immer noch unversehrt. Aber sie wusste, dass es mindestens zehn Pfund wog …
Sie griff in die Kiste, legte eine Hand auf jede Seite des Eis und hob es heraus. Es sprang ihr fast entgegen. Es wog fast nichts! Und auf der Unterseite ertasteten ihre Finger einen gezackten Rand. Kolabati drehte das Ei um. Ein gezacktes Loch blickte ihr entgegen. Helle Streifen zeigten ihr, wo Risse an der Unterseite mit Leim gekittet waren.
Der Raum drehte sich plötzlich um sie herum.
Das Rakosh-Ei war leer! Es war schon vor langer Zeit ausgebrütet worden!
5
Jack hörte Kolabati im Nebenzimmer aufschreien. Nicht vor Schmerz oder aus Furcht, sondern eher ein Schrei der Verzweiflung. Er fand sie auf dem Boden des Nebenzimmers kniend. Sie hielt ein geflecktes, ungefähr fußballgroßes Objekt in den Armen und wiegte sich vor und zurück. Tränen strömten über ihr Gesicht.
»Was es passiert?«
»Es ist leer«, schluchzte sie.
»Und was war darin?« Jack hatte einmal ein Straußenei gesehen. Das war weiß gewesen. Dies hier hatte annähernd dieselbe Größe, aber es war grau gefleckt.
»Ein weiblicher Rakosh.«
Rakosh. Es war das zweite Mal, dass Jack dieses Wort von ihr hörte. Zum ersten Mal hatte sie es Freitagnacht ausgesprochen, als der faulige Gestank in seine Wohnung gedrungen war. Er brauchte keine weitere Erklärung, was aus diesem Ei geschlüpft war: Es hatte dunkle Haut, einen hageren Körper mit langen Armen und Beinen, Reißzähne im Maul, Klauen an den Händen und glühende gelbe Augen.
Ihre Qual erschütterte ihn und er kniete sich ihr gegenüber hin. Sanft entwand er ihr das Ei und nahm ihre Hände in die seinen.
»Erzähl mir davon.«
»Das kann ich nicht.«
»Du musst.«
»Du würdest es nicht glauben …«
»Ich habe sie bereits gesehen. Ich glaube es. Jetzt muss ich es verstehen. Was sind das für Kreaturen?«
»Es sind Rakoshi.«
»Das habe ich mir bereits gedacht. Aber mit dem Namen kann ich nichts anfangen.«
»Sie sind Dämonen. Sie bevölkern die Sagen Bengalens. Man benutzt sie, um unartigen Kindern Angst zu machen: ›Die Rakoshi kommen dich holen!‹ Im Laufe der Jahrhunderte hat es immer nur ganz wenige Auserwählte gegeben, die wussten, dass es sich dabei um mehr als nur Ammenmärchen handelt.«
»Und du und Kusum, ihr gehört wohl zu diesen Auserwählten?«
»Wir sind die Letzten, die noch übrig sind. Wir stammen von einer langen Linie Hohepriester und -priesterinnen ab. Wir sind die letzten Hüter der Rakoshi. Durch die Zeiten hinweg waren die Mitglieder unserer Familie mit der Hege der Rakoshi betraut –wir mussten sie züchten, sie kontrollieren und sie entsprechend den althergebrachten
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