Handyman Jack 01 - Die Gruft
bis zu der Kreuzung und sah, wie Kusum über den zerbröselnden Beton am Fluss entlang zu einem vergammelten Pier hastete, an dem ein Seelenverkäufer vertäut war. Während Jack zusah, senkte sich wie durch Zauberei eine Gangway herab. Kusum kletterte an Bord und verschwand aus seinem Blickfeld. Hinter ihm fuhr die Gangway wieder hoch.
Ein Schiff. Was zum Teufel konnte Kusum auf so einem schwimmenden Schrotthaufen wollen? Bisher war es ein langer, langweiliger Tag gewesen, aber jetzt wurde es interessant.
Jack ging zu seinem Taxi zurück.
»Sieht so aus, als sei es das«, sagte er zu Arnold. Er warf einen Blick auf den Taxameter, rechnete aus, was er noch zu zahlen hatte, schlug noch einmal 20 Dollar als Trinkgeld auf und reichte Arnold die Scheine. »Danke. Sie waren eine große Hilfe.«
»Das ist keine besonders nette Gegend bei Tag«, meinte Arnold und sah sich um. »Und nach Anbruch der Dunkelheit wird es wirklich übel, vor allem wenn man so gekleidet ist wie Sie.«
»Ich komme schon klar.« Jack war dankbar für die Besorgnis bei einem Mann, den er gerade erst seit ein paar Stunden kannte. Er klopfte auf das Dach des Wagens. »Nochmals danke!«
Jack sah dem Taxi hinterher, bis es im Verkehr verschwand, dann musterte er seine Umgebung. Direkt an der Kreuzung auf der anderen Seite der Straße war ein unbebautes Grundstück und daneben stand ein alter Backsteinspeicher mit zugenagelten Fenstern.
Er fühlte sich schutzlos in seiner Aufmachung, die für jeden, der es darauf anlegte, eine offene Einladung sein musste: Raub mich aus! Und weil er es nicht gewagt hatte, eine Waffe mit zum UNO-Gebäude zu nehmen, war er jetzt unbewaffnet. Im gängigen Sprachgebrauch war er unbewaffnet. Er konnte jemanden mit einem Kugelschreiber dauerhaft ausschalten und kannte ein halbes Dutzend Möglichkeiten, jemanden mit einem Schlüsselbund zu töten, aber wenn es nicht unbedingt sein musste, dann ließ er niemanden so nahe an sich heran. Wenn sich die Semmerling in ihrem Halfter an seinem Bein befände, würde allein das Wissen darum ihn erheblich beruhigen.
Er musste Deckung suchen. Das konnte er wohl am besten unter dem West Side Highway. Er joggte dorthin und bezog Stellung in der Gabelung eines der Stützpfeiler. Von hier aus hatte er einen guten Blick auf den Pier und das Schiff. Und er selbst war vor den Blicken eventueller Randalebrüder geschützt.
Die Dämmerung kam und ging. Die Straßenlaternen flammten auf, als sich die Nacht über die Stadt senkte. Er war weit weg von den Straßen, aber er sah, wie der Verkehr im Westen und im Süden abnahm, bis nur noch dann und wann ein Wagen vorbeifuhr. Aber auf dem West Side Highway rumpelte es immer noch heftig, wenn die Wagen vor der Rampe abbremsten, die zwei Blocks von seinem Versteck entfernt den Highway auf Straßenniveau absenkte. Das Schiff wirkte verlassen. Nichts bewegte sich an Deck, keinerlei Licht drang aus den Aufbauten. Von außen wirkte es wie ein verlassenes Wrack. Was tat Kusum dort?
Schließlich, als es gegen neun Uhr vollkommen dunkel war, hielt Jack es nicht länger aus. Er war sich ziemlich sicher, dass er in der Dunkelheit unbemerkt an Deck gelangen und sich dort unentdeckt etwas umsehen konnte.
Er sprang von seinem Beobachtungsplatz herunter und schlich sich durch die Schatten auf den Pier. Im Osten ging der Mond auf. Er war groß und schimmerte rötlich. Er stand noch sehr tief, war aber seit gestern ein wenig voller geworden. Er wollte an Bord und wieder verschwinden, bevor er in vollem Glanz erstrahlte und das Hafengebiet beleuchtete.
An der Kaimauer hockte sich Jack gegen einen massigen Poller im dräuenden Schatten des Frachters und lauschte. Bis auf das Plätschern des Wassers gegen den Pier war alles totenstill. Ein saurer Geruch – eine Mischung aus Salz, Schimmel, verfaultem Holz, Kreosot und Müll – lag in der Luft. Er sah aus dem Augenwinkel eine Bewegung von rechts; eine einzelne Wasserratte hastete auf der Suche nach ihrem Abendessen über die Kaimauer. Sonst war alles ruhig.
Er zuckte zusammen, als etwas in der Nähe der Schiffswand aufspritzte. Eine automatische Bilgenpumpe spuckte einen Wasserstrahl durch eine kleine Öffnung in der Nähe der Wasserlinie.
Er hatte ein mulmiges Gefühl im Magen, dass er sich nicht recht erklären konnte. Er hatte schon heimliche Durchsuchungen unter gefährlicheren Umständen durchgeführt und war dabei bei Weitem nicht so nervös gewesen. Aber je näher er dem Schiff kam, desto mehr scheute
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