Handyman Jack 05 - Todesfrequenz
zerkratzt, die Strümpfe zerrissen.
»…er hat mich einfach umgestoßen«, berichtete sie gerade. »Ich weiß nicht, wohin er gefahren ist. Er war einfach weg.«
Die Mutter des Erlösers… Sandy schüttelte den Kopf. Unwahrscheinlich. Die alte Frau war schwarz.
»Haben Sie das verloren?«, fragte Sandy und drängte sich in den Kreis der Umstehenden.
Sie blickte auf, und ihre tränenerfüllten Augen weiteten sich. »Meine Tasche!«
»Woher haben Sie die?«, fragte ein stämmiger Mann und beäugte Sandy misstrauisch.
Sandy reichte der Frau die Tasche, deutete mit dem Daumen über die Schulter und hielt sich an die Version des Erlösers.
»Ich ging dort unten am Highway spazieren und hab sie gefunden.«
»Es ist alles da!«, sagte die Frau und öffnete das Portemonnaie. »Vielen Dank, junger Mann! Ganz herzlichen Dank!« Sie holte zwei Zwanziger hervor. »Das ist Ihre Belohnung.«
Sandy winkte ab. »Ganz bestimmt nicht. Niemals.«
Der stämmige Mann klopfte ihm auf die Schulter. »Guter Mann.«
Sandy schaute umständlich auf die Uhr. »Sehen Sie, ich bin verabredet«, sagte er zu dem Mann. »Ist mit ihr alles soweit okay?«
»Wir haben die Polizei gerufen. Und ein Krankenwagen ist schon unterwegs.«
»Na gut.« Zu der alten Frau sagte er: »Viel Glück, Ma’am. Tut mir Leid, dass Ihnen das passiert ist.«
Sie bedankte sich noch einmal bei ihm, und dann war er auch schon unterwegs hinunter zu den Basketballplätzen, wobei er versuchte, die Ereignisse der letzten Minuten zu verarbeiten. Er wusste, er hatte bisher ein abgeschirmtes Leben geführt. Gewalt hatte er nur bei einigen harmlosen Streitigkeiten auf dem Schulhof kennen gelernt. Doch das hatte sich mit dem Blutbad im U-Bahnzug geändert. Das war seine Feuertaufe gewesen.
Auf eine seltsame Art fand er dieses jüngste Ereignis noch verstörender. Der Erlöser hatte so schnell reagiert, so entschlossen – gerade war der Handtaschendieb noch auf dem Fahrrad vorbeigefahren, dann hatte Sandy geblinzelt, und das Nächste, was er wusste, war, dass der Mann mit zwei gebrochenen oder ausgekugelten Armen auf dem Bauch lag und der Erlöser ihm irgendwas über seine Mutter in die Ohren brüllte.
Was hatte das alles zu bedeuten?
Und noch beängstigender war diese unheimliche Freude in den Augen des Erlösers gewesen, während er sich über den Gestürzten beugte. Es hatte ihm Spaß gemacht, ihm Schmerzen zuzufügen. Und das hatte er getan, ohne auch nur einen winzigen Moment zu zögern. Das war geradezu unheimlich. Und noch unheimlicher war die Vorstellung, ihm jetzt alleine gegenüberzutreten.
Sandy begann zu ahnen, dass ihm diese Sache ein wenig über den Kopf wuchs, verdrängte diesen Gedanken aber. Er war nicht hierher gekommen, um dem Mann zu drohen, sondern er wollte ihm einen Gefallen tun.
Machte das jedoch etwas aus, wenn er es mit einem Irren zu tun hatte? Im Bruchteil einer Sekunde hatte der Erlöser sich von einem ganz gewöhnlichen Mitmenschen in einen tollwütigen Hund verwandelt. Und warum hatte er sich überhaupt mit dem Handtaschendieb aufgehalten? Wenn der Erlöser ein gesuchter Verbrecher war, warum legte er sich dann mit einem »Berufskollegen« an?
Nichts von all dem ergab einen Sinn.
Er traf den Mann an, wie er an den hohen Maschendrahtzaun gelehnt dastand, der die Basketballfelder unterteilte. Er machte Anstalten, sich zu entfernen, während Sandy sich ihm näherte, und bedeutete ihm mit einer Geste, ihm zu folgen. Sandy holte ihn in einem kleinen Wäldchen ein.
»Warum hier?«, fragte er, schaute sich um und stellte fest, dass sie ein wenig mehr vor Blicken aus dem Park geschützt waren. Er fühlte sich unbehaglich, nun da er mit dem Mann alleine war.
»Weil Ihr Bild schon zweimal in dieser Woche in der Zeitung war. Wer weiß, vielleicht erkennt Sie jemand.«
»Ja?«, meinte Sandy und strahlte plötzlich. Wenn ihn tatsächlich jemand auf der Straße erkannte! Das wäre ganz riesig. »Ich meine, ja, sicher, ich verstehe, was Sie sagen.«
Sandy ahnte, dass Mr. Hyde verschwunden war. Der Erlöser schien wieder in den Dr.-Jekyll-Modus zurückgekehrt zu sein.
»Dann erzählen Sie mal«, forderte der Erlöser ihn auf. »Wie wollen Sie mein armseliges kriminelles Leben ändern?«
Sandy hob beschwichtigend eine Hand. »Moment. Zuerst will ich eins wissen: Was sollte dieses Gerede von Ihrer Mutter? Das war sie doch gar nicht.«
»Sie hätte es aber sein können. Meine Mutter wäre etwa in ihrem Alter, wenn sie überlebt
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