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Hanibal

Hanibal

Titel: Hanibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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verzeichneten Erinnerungen müssen endlich ihre Überleitungen und ein Ende bekommen – Arbeit für zahllose Tage, und wer weiß, wie morgen der Wind steht. Dieser hier brächte mich, auf dem Weg zum Weltozean, auch dorthin, wo ich geboren wurde – heim nach Karchedon, das, wenn es nach dem Willen Masinissas und der Römer geht, bald unter dem Namen Karthago ein Trümmerfeld sein wird.
    Dort wurde ich geboren, vier Jahre nach dem albernen Tod des großen Pyrrhos, vier Jahre vor dem römischen Vertragsbruch, der den ersten großen Krieg zwischen Italien und Libyen auslöste. Mit diesem Vertragsbruch begann der Untergang einer Welt, aber das konnte damals niemand sehen. In der langen Spanne meines Lebens habe ich zwischen den Schneebergen im Osten Indiens und den westlichen Küsten jenseits des Okeanos viele große Männer und verzweifelte Entscheidungen erlebt; nun sind alle zu Nichts geworden. Wie der unselige ehrenhafte Starrkopf Regulus, der gewaltige Stratege Hamilkar, und natürlich Skipio der Stock, den sie Scipio den Afrikaner nannten. Sie waren groß, doch nur Räder in einem Laufwerk; sie hatten die Kraft, es zu beschleunigen oder zu verlangsamen, aber sie konnten es nicht anhalten und nicht aus diesem Laufwerk ausbrechen. Einer nur hatte die große Sicht, und schwindelerregende Jahre lang hielt er die Macht und die Möglichkeit in der Hand, das Ende einer, seiner , meiner Welt zu verhindern und den Strom der Zeit in ein anderes Bett zu zwingen. Er war größer als Achilleus, Kyros und Alexandres – aber nun ist Hannibal seit zwei Jahren tot. In den Tavernen reden sie noch immer von ihm, auch hier in Alexandreia; in Rom werden sie nie von ihm schweigen. Er war das gewaltige Feuer, in dem die alte Welt sich verzehrte, und kein Phönix wird sein. So bleibt mir, die Asche meines Erinnerns zu Sätzen zu formen, in dieser letzten freien Stadt.
    Nun ja, frei. Nächst dem Hafen – der jedoch, wie alle Häfen , der ganzen Welt gehört – und dem Teil der Ägypter, Rhakotis, sind mir Eleusis und Kanopos immer als am wenigsten abscheulich erschienen. Der Rest, ausgenommen Bibliothek und Museion, ist Prunk und Knechtschaft: prachtvolle Straßen, auf denen Menschen gehen, die nicht über sich verfügen; prachtvolle Häuser, verwaltet von Sklaven und bewohnt von mietezahlenden Knechten; die marmornen Ameisenhügel der Verwaltung, in denen die tausend Steuern, zweitausend Zölle und dreitausend Abgaben verwaltet werden; Kornhallen, in denen der Reichtum eines entmündigten Landes sich türmt. Vielleicht war es nicht der Dioiketes Apollonios, Hüter der Staatsschätze unter dem zweiten Ptolemaios, der diesen furchtbaren Satz sagte, aber er könnte es gewesen sein: »Hier darf keiner tun, was er will, denn alles ist zum Besten geregelt.« Die Bebauung des Landes duldet keine Unterbrechung, und jeder Mensch hat seinen Platz, den er nur auf besondere Anweisung oder mit besonderer Erlaubnis verlassen darf.
    Der Würgegriff, der in ganz Ägypten das Atmen und Denken schmerzhaft hemmt, ist an zwei Stellen gleichsam gelockert. Kanopos, Stadt der Laster und Vergnügen, ist das Luftloch, durch das der Druck entweicht, dessentwegen andernfalls das Gefäß berste. Und Eleusis, das Viertel der Reichen und der Paläste inmitten von Gärten, ist Eleusis: der Platz, den jene Menschen haben, die an der Bebauung des Landes durch andere genug verdienten, um sogar in Alexandreia »bei« Ägypten, unter den Augen des Lagidenherrschers, ihren Platz selbst wählen zu können. Keine Klage, denn ich gehöre zu ihnen, wenn ich auch nicht Teil von alledem bin. Alles ist neu und aufdringlich reich; das kleine Haus aus weißen Bruchsteinen und Ziegeln, das ich mir am Strand errichten ließ, schändet nach Meinung der Nachbarn den Stadtteil. Ich finde, es adelt ihn.
    Aber Eleusis ist eine Notlösung. Dreißig Schritte zum Strand, zweitausend zum Großen Hafen, fünftausend zum westlichen Hafen oder zur Bibliothek; dies sind die Vorzüge. Mehr gibt es nicht zu sagen. Einige Monde habe ich im Hafenbereich gelebt, in einer weitläufigen Wohnung zwei Geschosse über den Hafenstraßen und Kaimauern. Es war großartig und bitter; die Gerüche, die Gespräche mit Seeleuten und Händlern, jeder Tag war Erwartung des Abends, jeder Abend war Wein und Reden und Rausch und Erinnern und Sehnen: Seesucht. Jede Nacht war Vergessen, und jeder Morgen der Fluß des Herakleitos, ausgebrochen aus fauligem Rachen in einem schmerzenden Kopf. Kanopos ist zu weit von der

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